laut.de-Kritik
Musik, die die Kraft hat, die Zeit anzuhalten.
Review von Kerstin KratochwillDas erfrischende Geräusch einer sich öffnenden Cola-Flasche, die piepsenden Töne der ersten musikalischen Spülmaschine von General Electric, die flippernden Soundeffekte des Xenon-Pinballs – all diese prägenden Logo-Töne stammen von einer Frau, die darüber hinaus ein noch viel weitreichenderes Portfolio in der elektronischen Musik aufzuweisen hat, von Werbejingles über Soundtracks hin zu Programmierungen von Presets für beispielsweise den Kult-Synth Yamaha DX7: Suzanne Ciani. Doch ihre Bestimmung soll der Buchla-Synthesizer werden, dem sie ihr Leben und ihre Liebe widmet und mit dem sie ihr zweites Solo-Album "Seven Waves" kreiert, ein Werk zwischen New Age und New Wave in dem Sinn, dass uns hier Wellen von Synthsounds überschwemmen, die zwischen progressiv und meditativ changieren.
2016 zur Begeisterung von Synth-Fans neu auf Vinyl released, ist die italienisch-amerikanische Komponistin und Sound-Designerin mit nun 77 Jahren ein gut gebuchter Act. Doch viel zu lange standen Pionierinnen der elektronischen Musik wie sie und ihre genialen Kolleginnen wie Delia Derbyshire, Laurie Spiegel oder Doris Norton im Schatten männlicher Stars wie John Cale, Steve Reich oder Klaus Schulze (Fun Fact: Auf laut.de alle verlinkbar, von den Musikerinnen (noch) keine).
Bei den Grammy Awards fünfmal für das Best New Age Album nominiert, veröffentlichen Plattenfirmen Cianis Alben zunächst nur in kleiner Auflage: elektronische Musik von einer Frau, noch dazu ohne Gesang, ist dann doch zu futuristisch und feministisch für den US-Markt. So erscheint das wegweisende "Seven Waves" zunächst nur in Japan. Erst 1984 wird es auch in den USA veröffentlicht, obwohl sie mittlerweile als "America's first female synth hero" gilt. Als solche bezeichnete The Guardian die coole Ciani, die anderen wiederum als die "Delia Debyshire der Atari-Generation" gilt.
Computermusik, Regler, Kabler, dieses komplexe kreative Dasein eines Buchla-Synths, ist das Hauptinstrumentarium auf "Seven Waves". Daneben kommen zum Einsatz: ein MC-8- und MC-4-Sequencer, ein Prophet-5-Synthesizer, ein Roland-TR-808-Drumcomputer, ein Steinway-Piano, der Bode-Vocoder, Lyricon, Synclavier, ein Polymoog, ein Arp-Synthesizer und Eventide Processing. Viele dieser Instrumente existieren heutzutage nicht mehr, und sie sind unersetzbar: Die sieben Stücke, alle durchnummeriert von "The First Wave" bis "The Seventh Wave" und mit poetischen Untertiteln von "Birth Of Venus" über "Water Lullaby" hin zu "Sailing Away" versehen, sind damit auch ein historisches, musikalisches Dokument – einzigartig für seine Erscheinungszeit und dennoch zeitlos.
"Seven Waves" umspült die ZuhörerInnen mit romantischen Klassikanklängen à la Chopin und elektronischen Experimenten wie bei Tangerine Dream. Die Wärme und Kühle einer Welle spiegelt sich in jedem Track wieder. Ciani erweist sich hier als ein melodisches Genie, das ätherische und hypnotische Soundscapes ineinanderfließen lässt, ohne in den seichten Gewässern des New Age zu fischen.
Beginnend mit Synthetic-Sounds, die heranbrechende Wellen an einem Ufer erklingen lassen, endet das Album mit einem pulsierend, perkussiven Pop-Stück, das sich ebenfalls im vielfältigen und vielklanglichen Wellenrauschen verliert. Dazwischen erklingen popcornartige Sounds, tiefe Bässe, Umarmungen von klassischem Klavier mit Synth-Sequenzen, die einen tatsächlich in einem Musikmeer abtauchen lassen.
Wenn Ciani hier dem Wasser ein musikalisches Denkmal setzt, ist "Seven Waves" so etwas wie das Schwester-Album von Mort Garsons "Plantasia", der der Pflanzenwelt ein ebenso wunderbares Konzeptalbum schenkte. Cianis eigener Einfluss auf Krautrock, frühen Techno oder elektronische Soundtracks und KünstlerInnen wie Kaitlyn Aurelia Smith, mit der Ciani auch kollaborierte, ist enorm. Unterschwellig und überschwänglich zugleich, erschafft sie mit "Seven Waves" Musik, die die Kraft hat, die Zeit anzuhalten.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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