laut.de-Kritik
Die Mensch-Maschine im Artrock-Himmel.
Review von Yan VogelSylvan, nicht zu verwechseln mit Nad Sylvan, haben ihren Sitz in Hamburg und firmieren wie ihr quasi-Namensvetter unter dem Banner Artrock. Die Band definiert schon im frühen Karriere-Verlauf ihren Stil, der mit anspruchsvoll und zugänglich pointiert umrissen ist. Innerhalb eines Jahres erscheinen mit "Posthumous Silence" (2006) und "Presets" (2007) zwei Werke. Beide tragen die Handschrift der Norddeutschen und fallen dennoch gegensätzlich aus.
"Posthumous Silence" ist das Konzeptepos, was die proggige Seite betont. "Presets" betont den poppigen und bekömmlichen Anteil. "On To Zero" führt nun diesen Stil fort. Der Reichtum an Details findet auf der Ebene der Klanggestaltung statt bei bewusster Reduktion von vielen Parts. Dadurch befindet sich die Musik im Fluss und hält die Faszinantion beim Hören aufrecht.
Das Konzept von "One To Zero" beschreibt den Lebensweg einer künstlichen Intelligenz und fällt ähnlich durchdacht und fesselnd aus wie Steven Wilsons Meisterwerk "Hand. Cannot. Erase", The Oceans "Pelagial" oder The Tangents "Le Sacre Du Travail".
"Bit By Bit" ist die durchgeplante Ouvertüre. Dabei geht Komponist und Keyboarder Volker Söhl andere Wege, als man es etwa von Transatlantic kennt, die ihren Melodien- und Themenzauber exzessiv auswälzen. Vielmehr verwendet der Track einzelne Partikel, die in ähnlicher Form in späteren Stücken aufgegriffen und weiter entwickelt werden. Dies geschieht subtil, nicht mit dem Holzhammer. Zudem knüpft die Band im Intro an ihren Evergreen "Presets" an und zieht den Hörer direkt in den Fluss der Platte rein.
Dass Söhl keine klassische Themenverarbeitung umsetzt, hängt wiederum auch am Konzept. Die musikalischen Bruchstücke sind die Codeelemente der K.I. "Bit By Bit" gehört mit "Go Viral" zu den harten Exponaten auf "One To Zero". Diese Direktheit hebt sich wohltuend ab von den teils dynamisch gedehnten und ausfernd zelebrierten Longtracks und steht der Band gut zu Gesicht.
Mit "Encoded At Heart" liefert das Kollektiv DIE Ballade des Jahres ab. Steven Wilson verlegt sich bekanntlich aktuell auf poppig-produzierte Plattitüden, Anathema liegen auf Eis, wer soll da noch kommen? Die Worte graziös, glorios, gestenreich und glückselig beschreiben diesen Song sehr gut, der den Schwebezustand einer Übernummer wie "Ordinary World" von Duran Duran perfekt transportiert. Sänger Marco Glühmann porträtiert die K.I. analog zur menschlichen Entwicklung. Entsprechend spiegelt sich der weltumspannende und durch das Gospel-Ende sakrale Charakter der Musik textlich in einer liebevollen Eltern-Kind-Beziehung wider.
Die beiden Köpfe von RPWL Kalle Wallner und Yogi Lang, sind ebenfalls die Labelchefs von Gentle Art Of Music, bei denen Sylvan unter Vertrag stehen. Neben den finanziellen, administrativen und Vertriebs-technischen Gründen einer solchen Zusammenarbeit, fungieren die beiden auch als Produzenten.
Nebenbei kramt Yogi Lang in der Synthie-Sound-Schatzkiste, die er so behände beim letzten eigenen RPWL-Bandoutput "Tales From Outer Space" gepflegt hat. Wallner spendiert ein paar Akustik-Gitarren-Tupfer. Klanglich lässt man wie gewohnt nichts anbrennen. Dabei gelingen die Arrangements detailreich, wirken aber nicht überladen.
Neben der elektronischen Komponente flechten Sylvan reichlich akustische Momente ein. Neben der angesprochenen Akustik-Klampfe finden sich zudem Streicher an prägnanten Stellen als Ergänzung. Auch die Klavierparts spielte Söhl stilecht auf einem Flügel ein. Neben den Epen "Not A Goodbey" und "Encoded At Heart" sticht insbesondere ein Song ins Ohr. "Start Of Your Life" markiert die juvenile Sturm und Drang-Phase der künstlichen Intelligenz in Form einer Alternative Rock-Hommage à la Muse oder Placebo um.
Neu-Gitarrist Johnny Beck erhält einige coole Solospots, in denen er mal Mark Knopfler ("Unleashed Power"), Allan Holdsworth ("On My Odysee"), Tom Morello ("Trust In Yourself")oder David Gilmour ("Part Of Me" mit seiner Lost in space-attitüde) nacheifert, ohne sie zu kopieren.
Konzeptuell ist es nicht so, dass am Ende alles Terminator-mäßig in Schutt und Asche liegt. Sylvan gehen zyklisch vor. Die letzten verhuschten Klänge des Closer "Not A Goodbey" sind identisch mit den Anfangsklängen des Openers. Zudem bezweckt die K.I. nichts Schlechtes. Im Gegenteil wurde sie kreiert, um die Menschen zu retten. Das Programm lernt in der Folge auch, Emotionen zu spüren und ein Werteschema aufzubauen.
Aufgrund der vielen Schrecken, die die Spezies Mensch auf dem Planeten verbreitet, entschließt sich das Programm, auf eine Rettung zu verzichten. Sie drückt jedoch nicht den Reset-Knopf der Menschheit, sondern versetzt sich in den Urzustand. Wie würde eine künstliche Intelligenz, die Menschlichkeit erlangt, uns als Menschen sehen, dient als Narrativ. Hier werden keine Technik-Vorurteile gewälzt und Ängste geschürt. Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile. So wie sich die K.I. Bit by Bit zusammensetzt, so ergeben auch die einzelnen Töne einen unwiderstehlichen Zusammenklang.
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