laut.de-Kritik

Into the Pit! Ein Schnellschuss für die Ewigkeit.

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Von der Qual der Wahl zu sprechen, wäre etwas gar dramatisch. Die ... Herausforderung der Wahl vielleicht? Denn an der Frage, welches Testament-Album das beste, das legendärste ist, beißen sich viele die Zähne aus. Man lese sich zehn Rankings durch und erhalte mindestens vier verschiedene Top-Platzierte – die allesamt den Ruhmesplatz verdient haben. Das stürmische Debüt "The Legacy"; das ebenso starke Zweitwerk "The News Order"; das reifere "Practice What You Preach", die spätere Großtat "The Gathering", mit der sie 1999 die Renaissance des Thrash-Metal vorwegnahmen? Allesamt Killer!

Testament mögen einen Tacken zu spät in der Bay Area aufgeschlagen sein, um den Club der Big Four des Thrash zu den Big Five zu erweitern, aber die Qualität ihres musikalischen Schaffens steht jenem von Metallica, Megadeth, Slayer oder Anthrax in nichts nach. Eher im Gegenteil, was das jüngste Karrierekapitel seit Mitte der 2000er-Jahre angeht. Aber natürlich, wenn es um einen Meilenstein geht, dann fokussieren wir erstmal aufs Frühwerk.

Nicht einmal die Band selbst mag sich beim der Favoritenfrage richtig festlegen, das zeigt das überflüssige Rerecording-Schlamassel "First Strike Still Deadly" von 2001: Fünf Songs von "The Legacy" schafften es darauf, fünf Songs von "The New Order". Eine Auswahl, neutral wie die Schweiz. Doch nach zig erneuten Hördurchläufen spricht zumindest für den laut.de-Testamentarier vieles dafür, dass das zweite einfach das bessere Album ist.

"The New Order", erschienen 1988, behält zum einen den jugendlichen Drive des Debütalbums bei, mit dem Testament den großen Vorbildern Metallica nacheiferten. Deren Einfluss hört man vor allem dem Opener "Eerie Inhabitants" noch stark an. Zum anderen ist auf dem Album aber bereits der eigenständige Testament-Sound zu hören, der im Laufe der Karriere weiter ausreifen sollte.

Heavy sind Testament ja sowieso, aber eben auch mächtig groovend und mit einem todsicheren Händchen für Hooks und Melodien. Sie bieten das volle Paket von all dem, was im Thrash möglich und erwünscht ist. Die okkulten Lyrics, von Chuck Billy in unnachahmlicher Manier halb gesungen, halb geröhrt, sind ebenfalls schon am Start, während auf dem Debüt noch der dann zu Exodus abgewanderte Steve 'Zetro' Souza getextet hatte. Kurzum: Auf "The New Order" ist das klassische Band-Lineup erstmals in voll entwickeltem Potenzial zu hören. Und was man auch nie unterschätzen darf: Die hierauf versammelten Songs sind einfach fucking catchy.

Das ist umso beeindruckender, als das Album ein Schnellschuss war. Der Luxus des Ewig-an-den-Kompositionen-Herumtüftelns lag nicht mehr drin. Die Jungspunde hatten mit ihrem Debüt die Szene im damaligen Epizentrum der Thrash-Bewegung im Sturm erobert, und das Momentum wollte genutzt werden. Die erste Version des Albums war dem Label sogar zu kurz, weshalb die Band rasch zwei Instrumentals und (leider) ein Aerosmith-Cover draufpackten, um die Mindestlaufzeit zu erreichen.

Dank den beiden begnadete Saitenvirtuosen war das Nachlegen kein wirkliches Problem: Riffmonster Eric Peterson und der freigeistige Skolnick – seines Zeichens auch großer Jazz-Fan – ergänzen sich perfekt, die beiden Instrumentals erweisen sich sogar als Glücksfall. Sie machen "The New Order" zu einem noch vielschichtigeren Hörerlebnis, das die musikalische Qualität der Band unterstreicht.

Schon der Opener glänzt mit einer dicken Melodiegarnitur: Ein ruhiges Gitarrenintro, gerade unheimlich genug, um nicht zu gefällig zu wirken, heißt die Hörerschaft willkommen. Nach einer knappen Minute grätscht das erste Riff rein und der Thrash-Damm ist gebrochen. Klassischer Riffgalopp mit Gangshouts in Refrain, das zieht auch heute noch herrlich am Genickreflex und hätte auch bei Lars Ulrich und James Hetfield Gnade gefunden. Die ausgedehnte Instrumentalpassage, die sich vom ruhigen Beginn in einen wilden Rausch steigert, hebt den Song sogar vom Thrash-Einerlei ab. Was für eindrückliche fünf Minuten dieses Album doch eröffnen.

Und ab da drehen Testament erst richtig auf: Der Ritt vom Titelsong bis zu "The Preacher" ist eine der überragendsten Songabfolgen, die es auf einem Thrash-Album zu finden gibt. "The New Order", die Single-Auskopplung "Trial By Fire", das überragende "Into The Pit" – eine Headbanger-Hymne jagt die nächste. Einmal gestartet, muss man alles durchhören.

Der Titeltrack beginnt mit Donnerschlägen, zwischen denen die Leadgitarre wie elektrisiert herumschwirrt, ehe sich diese Gewitterwolke entlädt. Und wie! Am Hauptriff zeigt sich bereits exemplarisch, wie sich die Stile der Gitarristen bereichern: ein heavy Riff wird von einem knackigen Melodiebogen abgerundet. "Man hört hier richtig, wie wir unsere beiden Köpfe zusammengestreckt haben", urteilt Skolnick im Rückblick. Klassischer Peterson trifft klassischen Skolnick.

"Trial By Fire" beginnt mit gezupftem Intro und typisch neoklassischen Fingerübungen Skolnicks, die das gesamte Album bevölkern. Danach walzt die Band im drückenden Midtempo los. Hier hat Bassist Greg Christian auch einmal ein paar Takte für sich, der zusammen mit Drummer Louie Clemente einen weiteren starken Stützpfeiler im Bandsound bildet. Auch wenn die Rhythmussektion nicht gleich prominent in Erscheinung tritt wie die Gitarristen, lumpen lässt sie sich zu keiner Zeit. Der Bass – bei so vielen anderen Produktionen sträflich vernachlässigt – ist im Mix auch angemessen präsent hervorgehoben.

Ohne Verschnaufpause folgt die Kampfansage "Into The Pit", die live zurecht einen fixen Platz in der Setlist genießt und keinen Schopf ungeschüttelt lässt. Auf der Albumversion bellt der junge Chuck Billy die Lyrics noch einige Kilo leichter, dennoch kraftvoll ins Mikrofon. Skolnick bringt im Mittelteil das vielleicht mitreißendste Solo der Platte unter, und die Band hämmert zum Abschluss der Hörerschaft mit geballter Kraft ins Hirn: Bam-bam-bam-bam ... zwölf Schläge für ein Halleluja. Wer dieser Nummer überdrüssig wird, gehört in eine Grube voller Celine-Dion-Schmalz geschmissen.

Dass auf diese Abrissbirne das instrumentale "Hypnosis" folgt, kommt dem Albumfluss nur zugute. Wobei der Titel irreführend ist: Die Gitarre ergibt sich keineswegs der Trance, sondern windet und wehrt sich nach Kräften gegen den Kontrollverlust. Als netter Nebeneffekt geht dieses Intermezzo nahtlos ins Intro von "Disciples Of The Watch" übrig. Noch so ein Evergreen, den man eigentlich niemandem mehr zu erklären braucht: "Obey! Or I'll burn you to that cross!" Den Refrain kann man schon beim zweiten Mal mitsingen, Clemente dirigiert mit Trommelwirbel-Einschüben die Dynamik, hier ist die ganze Band einmal mehr on fire.

Dass die Kerle nicht nur wüten, sondern auch wissen, was sie musikalisch machen, zeigt sich im wunderbar arrangierten "The Preacher". Der Einstieg changiert mühelos zwischen Wutanfall und Harmonie, außerdem nimmt Skolnick im Solo die eingangs gespielte Melodie wieder auf. "Listen to these words I preach", knurrt Billy, als ob daran ernsthaft ein Zweifel bestehen würde. Jeder halbwegs vernünftige Metalhead hängt an der Soundanlage.

Doch kein Lauf dauert für die Ewigkeit, leider. Der erste und einzige Downer folgt in Form des besagten Aerosmith-Covers: Testament holen aus "Nobody's Fault" raus, was geht, nichtsdestotrotz wirkt diese Fremdkomposition altbacken und irgendwie fehl am Platz – und wer auch immer auf Idee kam, sie mitten im Album unterzubringen, sollte eine Auszeichnung als Depp des Jahres 1988 erhalten. Ein Jammer, denn "A Day Of Reckoning" erreicht vielleicht auch wegen dieses Absturzes nicht mehr die gleiche Flughöhe wie die Songs davor.

Das wiederum instrumentale "Musical Death (A Dirge)" beschließt das Album getragen, versöhnlich, und betont ein letztes Mal die musikalische Stärke der Kalifornier. Die Sologitarre vermittelt so viele Emotionen, dass es keinerlei Gesang mehr braucht. Obwohl, es bleibt eines der großen Rätsel, wie der Song klingen würde, hätte sich Chuck zumindest für die heavy Passagen doch noch ein paar Lines aus den Stimmbändern gequetscht.

"The New Order" mag kein makelloses Album sein, aber die fünf Jungspunde haben damit richtig Tritt gefasst – ja, sogar mächtig ihren Stiefel in den Boden gerammt. Metallica mochten Ende der Achtzigerjahre bereits in Superstar-Sphären abgehoben sein, Slayer ritten ebenso auf den Scheitelpunkt ihrer Erfolgswelle zu, dennoch bewährten sich Testament zur selben Zeit als weitere Hausmacht. Allein das spricht für die Qualität ihres Frühwerks. Das Line-up sollte nicht von Dauer sein, im Laufe der Jahrzehnte würden auch sie dem Fluch der Orientierungslosigkeit verfallen (die verdammten Neunziger), doch das Zweitwerk bleibt fantastisch und strotzt nur so vor Charme, Energie und Virtuosität. Gar nicht mal so schlecht für einen Schnellschuss.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Eerie Inhabitants
  2. 2. The New Order
  3. 3. Trial By Fire
  4. 4. Into The Pit
  5. 5. Hypnosis
  6. 6. Disciples Of The Watch
  7. 7. The Preacher
  8. 8. Nobody's Fault
  9. 9. A Day Of Reckoning
  10. 10. Musical Death (A Dirge)

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