laut.de-Kritik
Erfrischender Poprock mit Suchtpotenzial.
Review von Linus SchwankeWer schon immer einen Draht zu Texas hatte, sollte weiterlesen. Wer nicht, auch: Sharleen Spiteri & Co. liefern mit dem "Red Book" eine beachtliche Produktion ab, die zeigt, dass Texas ein überaus lebendiger, kreativer, aber auch beständiger Act ist. Über alle Zweifel erhaben stellt das 'rote Buch' der Briten ein musikalisches Diorama dar, das dem Oberbegriff Poprock in ganz erfrischender Weise entspricht.
Man schöpft Kraft aus dem, was diese fantastische Band phonetisch auf's Parkett legt. Schön arrangierte Tunes, melodische Gebinde der sehnsüchtigen Art und Stellen, die Hymnen-Status in sich tragen. Texas - das steht für Sounds, die viele Gefühle transportieren und sich daher stark auf Melodien konzentrieren. Der Anspruch von "Red Book" besteht aus einem Mix aus Tradition und vorausschauender, moderner Popmusik, der eine "ewig hungrige" Sharleen wie immer ihren vokalen Siegelring ins Wachs drückt.
Steht man vor der Frage, welche musikalischen Einflüsse auszumachen sind, steht man vor einer schwierigen Aufgabe. Gibt Frau Spiteri bescheiden zu Protokoll, es sei ganz einfach "klassischer Popsound", glaubt Johnny McElhone immerhin Stax Soundtracks, Giorgio Morroder, Kate Bush und einen Mix aus Prince und Motown heraus zu hören. Ich denke, das Album leistet mehr.
Fangen wir beim Intro an. Das 'Amuse Geule' mit dem nihilistischen Titel "036" stimmt geheimnisvoll ein: "Schön, dass Du das "Red Book" hören möchtest. Bevor Du beginnst, lehn Dich zurück, entspanne Dich und konzentriere Dich auf das, was nun kommt." Das Intro dauert 35 Sekunden. Und wirklich bin ich nun ent- bzw. gespannt.
Danach geht der Vorhang auf. Schon bei den ersten Takten von "Getaway" ist Texas voll präsent. Man fühlt sich gleich wie zuhause, sofern man dieser neuen Platte mit einer gewissen Erwartungshaltung entgegen trat. Bei "Can't Resist" ist man bereits mittendrin. Ich lasse die schönen Melodiebögen fließen, die sich fast lässig um ein Thema winden. Typische Zwischenspurts in Dur sorgen für Spannungsmomente im sonst sehnsuchts-intonierten Moll. Trotzdem geben Gitarren und Drums ein gewisses Tempo vor, das die Frontfrau souverän mitgeht. Das danach folgende "What About Us" ist dagegen völlig belanglos. Zeit zum Toilettengang und Kippen holen.
Mit "Cry" ist die Texas-Welt wieder in Ordnung. Als Auftakt für "Get Down Tonight", nur unterbrochen durch das hymnenartige "Sleep". Denn erst genannter Track ist zweifellos die Glanznummer der CD. "Get Down Tonight" haut wirklich in die Zwölf und hat musikalisch ganz beachtliche Dinge zu bieten: Flirrend verwobene Harmonien finden zusammen, um sich bald kurz los zu reißen und in einem kraftvollen Resumée wieder zu vereinen. Die Musik macht hier innerhalb eines Songs kleine Ausflüge, die einen in gewisse Sehnsuchtsträume durch die Nacht tragen, intoniert von Sharleens Stimme, die in entscheidenden harmonischen Stellen nur flüstert. Das ist perfekt arrangiert und wirkt wie neu erfunden. Und über allem schwebt die unvergleichliche Aura von Texas at its Best.
"Nevermind" und "Bad Weather" sind eher ruhige, nachdenkliche Nummern, die jeder am besten für sich entdeckt - oder eben nie. In "Masterthief" trumpft das "Red Bock" nochmals auf, um uns dann mit einem fröhlichen, druckvollen "Hey You" zu begeistern und Traubenzucker zu geben. "Just Hold On" und der Titeltrack schließen die Platte ab, wobei letzterer Song ein punktgenaues Licht setzt.
Fazit: Die ganze Produktion hat einen hörbar roten Faden und stellt kein wahlloses Sammelsurium von irgendwelchen neuen Songs dar. Sie hat eine Ouvertüre, einen Anfangsblock, einen kraftvollen Mittelteil und ein richtiges Ende. Und mit "Get Down Tonight" sowie "Cry" zwei potenzielle Suchtnummern. Mehr kann man sich eigentlich kaum wünschen. Well done, Texas!
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