laut.de-Kritik
Weniger inspiriert und ein bisschen zu routiniert.
Review von Giuliano BenassiAuch langjährige Erfahrung rettet eine Band nicht vor dem verflixten zweiten Album. Zwar haben die Avett Brothers schon deutlich mehr davor veröffentlicht, doch den Erfolg ihres Durchbruchs "I And Love And You" (2009) zu bestätigen war trotz namhafter Unterstützung keine leichte Aufgabe.
Nach wie vor befinden sie sich unter den Fittichen Rick Rubins und seines Labels American Recordings. Dem bärtigen Produzenten gelang es wie üblich, mehrere namhafte Gäste ins Studio zu locken, unter ihnen Chad Smith, Schlagzeuger bei Red Hot Chili Peppers, Benmont Tench, Keyboarder von Tom Petty & The Heartbreakers, und die Webb Sisters, die in den letzten Jahren in Leonard Cohens Band für Furore gesorgt haben.
Das Herz der Band bilden natürlich nach wie vor die Gebrüder Seth und Scott Avett (Gesang, Gitarren) sowie ihre langjährigen Mitstreiter Bob Crawford (Bass) und Joe Kwon (Cello). Um ihre Ruhe zu haben, nahmen sie den größten Teil des Albums in ihrem Heimatstaat North Carolina auf, weit entfernt vom Gewusel von Los Angeles, in dem "I And Love And You" entstanden war.
Das macht sich schon im Opener bemerkbar, der gemächlich und ländlich – sprich ausgesprochen countryesk – daher kommt. Der titelgebende Zimmermann hat sich von seiner Hornhaut verabschiedet und befindet sich on the road, "but I took the highway, a poet young and hungry / And left the timbers rotting where they lay".
Eine Suche nach Abenteuer und nach "a woman we call Purpose", die auf dieses Album leider nicht zutrifft, denn nach Überraschungsmomenten wie auf dem Vorgänger wartet man vergeblich. "The Carpenter" als Mainstream-Country zu bezeichnen wäre übertrieben, doch kommt es einfach zu lieblich daher. Mal eine Prise Eagles, mal ein bisschen Beatles oder Tom Petty – zu wenig, um europäische Ohren zu begeistern.
Am meisten fehlen die vokalen Harmonien des Vorgängers. In den Refrains sind beide Brüder gleichzeitig zu hören, wie auch in gelegentlichen Hintergrundchören, jedoch kaum in den Strophen. Grandiose Stücke wie "Ten Thousand Words" oder "Laundry Room" sind hier nicht zu finden. Auch die Gestaltung der CD fällt vergleichsweise mau aus. Waren es davor eindrucksvollen Gemälde aus dem Pinsel Scott Avetts, ist das Booklet diesmal in tristem Grau gehalten.
"The Carpenter" ist kein so großer Wurf wie "I And Love And You". Bei der Ansammlung an großen Namen konnte es aber auch nicht schlecht ausfallen. Vielleicht ist es einfach weniger inspiriert und ein bisschen zu routiniert. Doch das ist zum Glück nur eine Frage der augenblicklichen Form und nicht das grundsätzliche Problem einer Band, die noch alle Chancen hat, auch in Zukunft zu begeistern.
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