laut.de-Kritik
Zehn Hookmonster für die Ewigkeit.
Review von Ulf KubankeMitte der 80er Jahre war es für den Rockfreund gar nicht leicht, etwas Kerniges zwischen die Zähne zu bekommen. Aus Radio und Plattenläden plärrten entweder Porentief reiner Glizzerpop oder dauergewellter Cockrock. Ausgerechnet aus der Postpunkecke naht die Rettung. The Cult schmeißen ihr Meisterwerk "Love" auf den Markt und verpassen dem darbenden Genre eine fette Ampulle frischen Blutes.
Im Gegensatz zu den zeitgleich mit "First And Last And Always" durchstartenden Kollegen Sisters Of Mercy setzen Ian Astbury du Bill Duffy nicht auf musikalische und lyrische Depression als Ausdrucksmittel. Im Gegenteil: Ihr eleganter Gothrock ist pure Spaßmucke. Die zehn Songs von "Love" schnappen sich das Messianische der Doors und einen Hauch Led Zeppelin bei der Gitarrenorchestrierung und verrühren beides mit den warmen Klängen flirrender Gothgitarren.
Das nicht nur optisch ungleiche Duo Astbury/Duffy ergänzt sich künstlerisch perfekt. Duffys Figuren am Sechssaiter spucken Rhythmen und Melodien aus, die den Gesang ihres Frontman kongenial flankieren. Der beim Gig gern grell geschminkte Charismatiker Astbury erledigt den Rest. Mit wölfisch heulender, oft Vokale dehnender Stimme gibt Astbury den Hohepriester eines sexy Gottesdienstes voller Erotik und Mystik.
Diese Mischung aus Duffys schroffer Straightness und Astburys nahezu morrisonesker Präsenz birgt den Funken für das Feuerwerk. Letzterer springt schon nach den ersten Sekunden des Openers "Nirvana" über. Ein typisches Cult-Thema samt rhythmischer Finesse und Gassenhauer-Refrain. Der unvermeidliche Ohrwurm setzt schon beim ersten Hören ein. "Every day, nirvana./ Always this way, yeah, yeah, yeah."
Jeder Song ein Treffer auf der Suche nach dem perfekten Rockmoment. Übertriebene Härte benötigen die Lieder nicht. Jedes einzelne erhält stattdessen maßgeschneiderte Atmosphäre. "Big Neon Glitter" ist eines dieser Hookmonster für die Ewigkeit.
"She Sells Sanctuary" ist nicht nur wegen des großartigen Gitarrenmotivs ein besonderer Track. Die Vorabsingle zum Album wird international zum Hit und klebt ein halbes Jahr als Dauerbrenner in den britischen Charts. Damit wurden die Cult noch vor Veröffentlichung der LP schlagartig bekannt und geschätzt. "Ich ging zu Live Aid, kam backstage. Und da war dieser riesige Raum mit Leuten, die wir liebten und bewunderten. Da standen also Freddie Mercury, David Bowie und Roger Daltrey und wussten wegen des Hits, wer wir waren. Auf dem Rückweg nach Brixton in der U-Bahn konnte ich es immer noch nicht glauben." So Ian Astbury.
Auch die ruhigeren Augenblicke wie das mythische "Brother Wolf And Sister Moon" gelingen ihnen hinreißend. Ein großer Schamanenmoment von Astbury, der hier stimmlich die ganze emotionale Bandbreite von Andacht bis Ekstase abfackelt.
Trotz so viel Superlative steht der Höhepunkt noch aus. Mit der zweiten Hitsingle "Rain" setzen The Cult ihrem zweiten Longplayer lässig die Krone auf. Eine der besten Hooks der gesamten 80er beschlagnahmt das Ohr nach wenigen Sekunden. "Here comes the rain. Here comes the rain./ Here she comes again. Here comes the rain." Astbury: "'Sanctuary' und 'Rain' sind Hymnen an die Herrschaft der Weiblichkeit. Lieder über die Kraft der Sexualität und des spirituellen Ausdrucks."
Mit "Love" gelingt der Band das Kunststück, den Gothicrock vom Underground des Batcave und anderer schummriger Höhlen in die Höhen der Hitlisten zu katapultieren, ohne auch nur einen einzigen künstlerischen Kompromiss zu machen. Mit den nachfolgenden Alben wenden sie sich leider immer stärker einem rockistischeren Hardrockkonzept bluesig amerikanischer Prägung zu. Dennoch muss man ihre ewige Überballade "Edie (Ciao Baby)" von "Sonic Temple", ein Requiem für Factory-Schönheit Edie Sedgewick, am besten direkt nach dieser Platte genießen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
10 Kommentare mit 14 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Das wurde aber auch Zeit! Dieses Album hat sich über die Jahre zu einem meiner All-time-Favourites gemausert. Sehr schöne Rezension für einen absolut verdienten Meilenstein.
"Mit wölfisch heulender, oft Vokale dehnender Stimme gibt Astbury den Hohepriester eines sexy Gottesdienstes voller Erotik und Mystik." - Amen!
"Edie (Ciao Baby)" soll ja auf einigen asiatischen und osteuropäischen Veröffentlichungen bereits auf dem Album enthalten sein. Weitere Bonustracks wie "Little Face", "Judith" und "Faith Healer" sind mir bis heute jedoch völlig unbekannt geblieben - werde das gleich mal nachholen.
Sehr schöne Rezension! Als damals 15 jähriger hat mich das Album umgehauen und eine Ahnung gegeben, welche Intensität Musik haben kann!
Das Nachfolgeralbum "Electric" hat damals die meisten Fans mit seinem kompromisslos testosterongeschwängerten Rock vor den Kopf gestoßen.
"Sonic Temple" von 1989 und "Cult" von 1994 sind neben Love die beiden anderen Album Großtaten.
Nach langer Zeit endlich wieder ein Meilenstein den ich mittragen kann.
vice city!
Jap. Ich sag ja, Videospiele können echt ein Segen für den Musikgeschmack sein..
Vor allem Vice City! Beste Musik in einem GTA!
werd ich nie vergessen, erste karre in die ich einstieg, direkt raining blood von slayer.so schön !
Und warum? Weils die 80er waren
@Sancho: Richtig Btw schön, dass du deinen Namensgeber wieder als Avatar verwendest.
Schön dass es dir aufgefallen ist
Ich zeige mich ahnungslos. Wer ist das in dem Avatar?
Wer das ist?!? Das ist Sancho! http://www.youtube.com/watch?v=jjxrJSPLHAI
Sanctuary ist wirklich unzerstörbar.Einer der besten Songs überhaupt.Cult finde ich aber auch sehr gut, als Album meine ich