laut.de-Kritik

Frontfrau Dalle rockt reichlich blutrünstig.

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Wohl kaum jemand wird dem Release von "Coral Fang" so entgegen gefiebert haben wie die Distillers selbst. In den letzten Wochen hatten die Musikzeitschriften wenig über den künstlerischen Output des Punkvierers mit Steuerfrau berichtet, dafür umso mehr über das Liebesleben von Brody Dalle und deren Ähnlichkeit mit Holes femme fatale Courtney Love.

Dalle hasst diese Vergleiche verständlicherweise, auch die ständigen News über ihre Lover (aktuell immerhin Josh Homme von den Queens Of The Stone Age) nerven gehörig. Letzteres gehört wohl zum Biz, Ersteres liegt leider Gottes auf der Hand. Dalle schminkt sich wie Love, besitzt eine ähnliche Mimik/Gestik und klingt bisweilen sogar so. Und die Distillers rocken dabei zeitweise, als hätte Dalle (wie Love) den Geist von Cobain und seinem Grunge geatmet.

Dabei drängt sich der Gedanke nicht sofort auf: Am Anfang der CD empfängt den Hörer mit "Drain The Blood" Stille. Daraufhin eröffnet Brody Dalle à capella, und dann erst stimmen die drei von der Punkstelle ein. Verhalten und stimmig gehen sie in Richtung Poppunk mit einer gehörigen Portion Stimmrotz. Gefällige Melodien, bei denen sofort die saubere Produktion auffällt.

Verantwortlich dafür zeichnet Gil Norton, der unter anderem schon für die Foo Fighters produziert hat. Das ist eine Krankheit der wütenden Musik: durch ein allzu glattes Album wurden schon ganz andere Bands (Nirvana u.a.) gezähmt, und so verlieren die Distillers einiges von ihrer früheren punkigen Schmuddeligkeit. Nichtsdestotrotz gibt "Drain The Blood" die Richtung vor. Angry Young Woman wähnt sich in schlechter Gesellschaft ("All my friends are murders") und singt darüber. Und unterhält die Massen dabei ganz gut. "Coral Fang" macht trotz der morbiden Stimmung ziemlich viel Spaß und rockt derbstens.

Den Rockfaktor hoch halten "Die On A Rope" und "Dismantle Me", das auch durch textliches Können besticht, auch wenn Dalle schon wieder jemanden unter die Erde bringen will. Die Verwirrungen des Herzens prägten "Die On A Rope", wenn die wütende Frontfrau ihrer Liebe die Zunge rausschneiden will und feststellt "There's a scarlet letter in my chest". Kleine Geschichtsstunde: den scharlachroten Buchstaben A (für Adulterer) musste im puritanischen Amerika diejenige Frau tragen, die einen Ehebruch begangen hat. Selbstzweifel? Grunge? A propos. "The Gallow Is God" ist ganz schön unpunkig und klingt nach Anfangs-Neunziger. Aber wer kann schon was für seine Sozialisation. Auch hier beweist Brody Dalle wieder einmal, dass sie zu Recht die Songwriterin der Band ist: sie changiert die Phrasen "What a surprise" und What is the prize?" gekonnt, bis komplette audible Verwirrung einsetzt.

Doch wer sagt mir, wo der Punkrock ist? Wo ist er geblieben? "The Gallow Is God" und auch "The Hunger" sind sicher feine, schön geschriebene Songs, wirken aber auf dem Action-Pack "Coral Fang" ein wenig deplatziert. Denn eigentlich können die Distillers diese 1234-Punk-Nummer ganz gut, das langsame "The Gallow Is God" und auch das slow rockende "The Hunger" fallen deutlich raus, deuten andererseits aber auch an, dass die Vier auch weiche Saiten aufziehen können. Oder zumindest gefühlvollere. Dadurch erhält "Coral Fang" eine auf den zweiten Blick fast erstaunliche Bandbreite.

Der Titeltrack, das speedige "Hall Of Mirrors" und vor allem das famos rockende "Beat Your Heart Out" feiern the return of punk. Vor allem "Hall Of Mirrors" beeindruckt durch die bildliche Wut. Sätze wie "I come down like a bloody rain/cuts up flesh sky [...] I sell souls at the side of the road/would you like to take a number?" und "I watched you burn in the eye of my sun" kommen zwar recht kryptisch daher, allerdings lassen Gesang und Betonung keinen Zweifel darüber, in welcher Laune diese Lyrics verfasst wurden. "Beat Your Heart Out" ist eigentlich die einzige Nummer auf "Coral Fang", die zum Mitgrölen anregt, zum ersten Mal verbreiten die Destillateure so etwas wie gute Vibes. In der Folge macht "Love Is Paranoid" klar, dass der Vorgänger nur ein Ausrutscher war und solche Manieren gar nicht erst einreißen werden, nicht dass noch jemand auf die Idee kommt, "Beat Your Heart Out" könnte ein Lovesong sein. Vorsorglich zeigt sich Dalle auch hier reichlich blutrünstig.

"For Tonight You're Only Here To Know" klingt dann schon wieder so, als würde sich Dalle mit der Welt und ihren Umstehenden versöhnen wollen. Ein Eindruck, den der Schlusstrack "Deathsex" sogleich widerlegt. Das über zwölf Minuten ausfransende und vor sich hin brodelnde Stück resümiert ein wenig die Unentschlossenheit von "Coral Fang": zuerst Auf-Die-Fresse-Punkrock, dann Rumgefrickel, dann wieder ein bisschen Action, aber keine Atempause. Für ein richtiges Punkalbum fehlt hier die Richtung, aber der Verzicht auf stumpfes Viertakt/Dreiakkordgeknüppel hat auch etwas für sich.

Trackliste

  1. 1. Drain The Blood
  2. 2. Dismantle Me
  3. 3. Die On A Rope
  4. 4. The Gallow Is God
  5. 5. Coral Fang
  6. 6. The Hunger
  7. 7. Hall Of Mirrors
  8. 8. Beat Your Heart Out
  9. 9. Love Is Paranoid
  10. 10. For Tonight You're Only Here To Know
  11. 11. Deathsex

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