laut.de-Kritik
Im Westen geht die Sonne nicht mehr auf.
Review von Rinko HeidrichMutter, Oh Mutter. "Oh Mama halt mich aus / Halt mich aus dem Trouble raus", flehen The Düsseldorf Düsterboys ihre Erzeugerin an und wünschen sich den Zustand der warmen Fürsorge und Geborgenheit zurück. Wer sich nach der mütterlichen Liebe sehnt, möchte keinen väterliche Strenge, sondern einfach in den Arm genommen werden. Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti wissen schon, wie sie die ach so schweren Herzen im trüben Herbst einsammeln. Ihre Hauptband International Music veröffentlichte schon im letzten Jahr Tresen-Musik für Melancholiker, auch "Nenn mich Musik" schmeckt nach Bier und salzigen Männer-Tränen.
Die "Kneipe" ist in ihrer Welt ein dunkler, aber auch romantischer Safe Room vor all den Schmerzen der Außenwelt. Das Original hatte auf "Die Besten Jahre" noch einen rockigen Uptempo-Drive, in seiner neuen verlangsamten Version sieht man förmlich die Alkoholgeister vorbei ziehen. Schnaps war sein letztes Wort und dann trug ihn der Gespenster-Chor mit den Worten "Dieser Ort ist gut zum Scheitern / Dieser Ort ist gar nicht da" hinfort. Graue Rauchschwaden liegen über dem Album und seiner trüben Schwermut.
Viel auf "Nenn Mich Musik" erinnert an frühe Ruhrpott-Filme wie "Rote Erde" oder "Nordkurve", die zwischen Maloche und Melancholie einen ganz eigenen rauen Charme entwickeln. The Düsseldorf Düsterboys lassen mit ihrer wohligen Nostalgie eine Zeit aufleben, die weder sie noch viele ihre Hörer wirklich miterlebt haben. Die Songs, von Olaf Opal produziert, wurden erst einmal analog aufgenommen und klingen tatsächlich wie ein lange übersehener Flohmarkt-Kauf aus der Vinyl-Kiste.
Dort findet man, zumindest im Ruhrgebiet, meistens auch Alben von Witthüser & Westrupp. Die beiden legendären Songwriter entwarfen in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ihre Sparte aus ganz eigenem Humor, Krautrock und psychedelischer Folk-Musik. Ein Düsterboys-Song wie "Messwein" klingt wie eine Reminiszenz an den anarchischen Output des Songwriter-Duos. Deren Geschichte begann - natürlich! - auch in einer Kneipe und führte sie am Schluss zu einer Aufführung in die Essener Apostelkirche. Die sakrale Stimmung von "Nenn mich Musik" bietet sich ebenfalls für diese Location an.
Die smithige Schwere von "Es geht mir gut" wirkt schon wie eine Andacht."Es geht mir gut / Nur ab und zu geht es mir nicht so gut (...) Kein Feuer ohne Glut / Es geht mir wieder gut". Der früher lausbubige Dendemann nahm den alltäglichen Verlauf zwischen Glück und Misserfolg mit "Danke gut" noch auf die leichte Hip Hop-Schulter, die Düsterboys trotzen ihm lakonisch mit einer "Muss ja"-Einstellung.
Es gibt ja schließlich auch noch einen spanischen Sehnsuchtsort für den grübelnden Deutschen. "Und bist du aus der Haut gefahren, dann hör dir mal die Beatles an. Oder du gehst nach Teneriffa". Ja, ist sicherlich eine bessere Option als "Sieben lange Jahre waren zu viel / Du hörst mir nicht mehr zu, wenn ich Gitarre spiel / Ein Reim am Ende jeder Zeile vertreibt die Langeweile". So schön sich auch "Beichte sagen" auf "Leichenwagen" reimt, aber der Urlaub auf der sonnigen Kanaren-Insel tut den Jungs bei solchen Assoziationsketten sicherlich gut. Sie erfuhren schließlich auf "Nenn Mich Musik" genügend Düsternis.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Der beste Beweis, dass in Deutschland noch Musik jenseits von Radio-Pop, Schlager, kommerziellem Zeitgeist und Zielgruppen gemacht wird. Die Jungs haben ein Händchen für eingängige Melodien und formen aus den vielen Inspirationen einen eigenständigen Sound, wie auch schon mit International Music. Beide Bands sollte man unbedingt auf dem Zettel haben, wenn man deutsche Musik noch nicht aufgegeben hat.
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Nichts schlägt seine Wertung zum letzten Beginner-Album.
Und laut gibt 8, so what?
Erinnert schon sehr stark an International Musik, aber ist jetzt kein Nachteil sage ich mal.
Düsseldorf lebt noch!
Wer deutschsprachige Musik noch nicht aufgegeben hat, findet hier einen exzellenten Grund es zu tun.
Geht gar nicht.