laut.de-Kritik
Der will nur spielen!
Review von Mathias MöllerZum Anfang ein kleiner erdgeschichtlicher Exkurs: Der Tyrannosaurus Rex lebte vor ca. 65 Millionen Jahren und galt als der fleischfressende König der Saurier. Mit seinen über 20 Zentimeter langen Zähnen konnte er bis zu 250 Kilo Fleisch auf einmal schnappen, bevorzugtes Opfer: der Entenschnabeldinosaurier. Er war relativ hoch entwickelt, aber (auf Grund seines unsozialen Verhaltens) ziemlich unbeliebt. Die Flintstones strafen ihn weitestgehend mit Missachtung, im "Jurassic Park" Hollywoods muss er als moderner Fiesling herhalten.
Die Schweden hingegen gelten als nett, gesellschaftsfähig und mit guten Tischmanieren ausgestattet (auch wenn der Rezensent schon das Gegenteil erlebt hat). Wer also ist besser prädestiniert für die Resozialisierung des missverstandenen Kolosses aus der Kreidezeit als die netten Nachbarn vom Polarkreis? Den Anfang machen die Hives, wahrscheinlich, weil sie im Moment die einzigen Schweden sind, die in einer Liga mit dem König der Urzeit spielen können.
Nach den ersten beiden Alben schwante einem ja schon, dass irgendwann die große Beliebtheitswelle über die fünf recht selbstüberzeugten Punkrocker hereinbrechen würde. Vor "Tyrannosaurus Hives" heißt das: hohe Sicherheitsstufe, Interviewmarathon bei den Festivalauftritten in Deutschland und Heavy Rotation der viel versprechenden Single "Walk Idiot Walk" auf MTV, das alles brachte der Wechsel zum Major mit sich. Stellte sich nur noch die Frage, ob die Hives, der selbst erklärte Tyrannosaurus Rock, ihre Garage-Punk-Sixties-Linie verlassen und sich dem Mainstream hingeben, oder ob sie den Labelbossen ein Album vor die Füße rotzen, dass ihnen die Schuhe putzt.
Naja, sie tun beides. Auf der einen Seite setzen sie die Entwicklung von "Barely Legal" zu "Veni Vidi Vicious" fort, wirken also etwas organisierter, nicht mehr so ungestüm, aber keineswegs zahm. Gleichzeitig liefern sie ihr bislang reifstes Werk ab, das eine erstaunliche Bandbreite aufweist, ohne in beliebige Richtungen zu zerfließen. Ließ "Walk Idiot Walk" die Öffentlichkeit noch weitgehend im Dunkeln, stellt der Opener "Abra Cadaver" klar, die Hives rocken nach wie vor mit einem gehörigen Spritzer Punkness. Auch "No Pun Intended" oder "See Through Head" unterstreichen dies kurz und knackig.
Aber dann sind da halt noch die anderen Stücke, die vermuten lassen, dass dieses Album erst mit der Zeit an Größe gewinnen wird: "Two-Timing Touch And Broken Bones" mit seinen Referenzen an die Sixties, aus denen auch der Klamotten-Stil der Hives 2004 stammt. Hier offenbart sich auch, dass das Album wohl bewusst nicht so fett produziert wurde, wie es heute sicher möglich ist, sondern den fast schon spröde-charmanten Charme des Mono-Zeitalters versprüht. Für Hives-Maßstäbe fast vertrackt wird es mit "A Little More For Little You": ein Song wie "Find Another Girl", nur schneller und mit mehr Abwechslung durch Tempowechsel.
Den wohl ungewohntesten Hörgenuss bietet "Diabolic Scheme", ein Track, der mit Streichern (!!!) und Gitarrensolo der Dramatik von Frontmann Almqvist Rechnung trägt. Bluesrock, ick hör' dir trapsen. Auch mit "Love In Plaster" rechtfertigen die Hives ihre kreative Auszeit von vier Jahren. Mit Achtziger-Drumming, Off-Beat-Gitarren und Surfsound-Bassläufen hören wir den wohl facettenreichsten Song der Hives ever. Die Zweifel, ob man den Fortschritt der Fünf aus Fagelsta gutheißen soll oder nicht, weichen spätestens hier Überzeugung. Und wer noch schwankt, der wird mit "Dead Quote Olympics" und "Antidote" versöhnt.
Die Hives haben ein erstaunlich gutes Album zusammengestellt, das allerdings seine Zeit braucht, um an den richtigen Stellen die richtige Wirkung zu entfalten. Diese Zeit sollte man "Tyrannosaurus Hives" geben, der Furcht einflößende Riese will doch nur spielen und hat eine zweite Chance sicher verdient. Und der Erste, der der Redaktion schreiben kann, wo auf dem Album sich Randy Fitzsimmons, der ominöse Mentor der Hives versteckt, bekommt eine Antwortmail mit weiteren unnützen Fakten über den T.Rex.
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