laut.de-Kritik
Dafür lohnt sich ein Erpresserbrief an den Nikolaus!
Review von Bine JankowskiDarauf haben alle gewartet. Naja, jedenfalls die, die bisher immer dann mit Nasennebenhöhlenentzündung und Röchelhusten das Bett hüten mussten, wenn die Hives ihre Anzüge mit Live-Schwitze durchtränkten. Die DVD "Tussles in Brussels" trägt nicht nur einen wohlklingenden Namen, sondern auch ein wunderbares Konzert der Frackträger in ihren digitalen Innereien. Auch die bereits zu Brei Gerockten finden feine Kleinigkeiten auf der Scheibe: Eine ziemlich schräge Biographie, acht Videos und mitgeschnittene Fernsehauftritte. Doch eins nach dem anderen.
Dem Namen entsprechend fand die große Schlägerei in Belgiens Hauptstadt ihren Austragungsort. Statt trüffeligen Schokoladeneiern und Starkbier servieren die Hives eine bodenständige Rockshow. Genau das Richtige für kalte, verregnete Tage auf dem heimischen Sofa. Und mit ein paar akrobatischen Einlagen am Mikrophon bringt Sänger Pelle Almqvist selbst den heimischen Sofa-Hocker dazu, ein wenig die Luft anzuhalten.
Natürlich präsentieren sich die fünf Schweden stilvoll wie immer. Schwarz-weiße Eleganz schlägt sich in ihren Jacketts, den Fliegen und den Gamaschen nieder, über den farblich abgestimmten Instrumenten prangt das bekannte, scharlachrote Neonschild. Schade, dass sich das ultimative Liveerlebnis nur hinter der Mattscheibe abspielt. Wer sich trotzdem die ganze Atmo-Brandweite ins Wohnzimmer holen möchte, kann seine kleinen Geschwister abbeordern, eine gesunde Anzahl Leselampen lightshowmäßig hin und her zu schwenken. Einen Versuch ist es wert.
Der nächste Streich stammt aus der Feder eines der zahlreichen imaginären Freunde der Band, D.W. Johnson. Wie ihr Erfolgsguru Mr. Randy Fitzsimmons existiert der hivesbesessene Journalist nur im schwarz-weißen Paralleluniversum seiner uniformierten Schöpfer. Oder doch nicht? Auf jeden Fall begleitet die zwielichtige Persönlichkeit namens D.W. Johnson die Band von ihren Anfängen im beschaulichen, schwedischen Städtchen Fagersta bis zur ruhmreichen Rauferei in Brüssel. Nach und nach entwickelt D.W. eine wahre Manie in Bezug auf seine Helden.
Deswegen kein Wunder, dass der Film ausschaut wie ein düsterer Batman-Comic auf Psychopharmaka. Johnson, der diese collagenartigen Anfälle kommentiert, macht die Handlung mit seinem extrem genuschelten Englisch auch nicht viel verständlicher. Darüber sehe ich aber gerne hinweg und mir den Film noch ein zweites Mal an, denn die nahezu künstlerisch wertvolle Aufmachung fesselt mich an den Bildschirm.
Auch die acht Musikfilmchen gehören auf Grund ihres überlaufenden Kreativoutputs am besten eingerahmt und einem fachsimpelnden Hobbykunstkritiker zum Fraße vorgeworfen. Spätestens an "Walk Idiot Walk" wird sich der gute Experte dann ordentlich verschlucken, die Kulisse à la Scrabblespiel ist schlicht genial. Wer genauer hinschaut, wird erkennen, dass der schräge Schwede Almquist sogar einen schicken, rosa Lippenstift trägt. "A.K.A I-D-I-O-T" empfiehlt sich für Rockabillys, dafür weniger für Epileptiker. Die Hives zocken in einem küchenartigen Verschlag auf schwarz-weißen Fliesen, mit Elvis-Tollen und unter Blitzlichtgewitter - natürlich fällt Howlin' Pelle auch hier wieder einmal aus dem Rahmen. Während alle anderen schlichtes Schwarz tragen, glänzt er mit einem blütenweißem Hemd! Gehört wahrscheinlich alles zum Erfolgskonzept von Mr. Fitzsimmons ...
Nachdem die Hives in "Two-Timing Touch And Broken Bones" dem Größenwahn huldigen durften (immerhin werden alle bis auf Pelle hundertfach vervielfältigt), steht ihnen der Sinn nach öffentlicher Zuwendung. So, sehe ich im nächsten Teil einen muskelimplantierten Typen, der mir die Band bei Top Of The Pops ankündigt. Pfui. Allerdings beweisen die Jungs trotz des Bravo-Charakters der Sendung Professionalität und bescheren mindestens einen Grund zum Schmunzeln. Bei "Main Offender" hören sie schlichtweg einfach auf zu spielen und frieren für mehrere Sekunden in einer akuten Bewegungsunfähigkeit fest. Das stürzt die ganzen blondierten Mädels im Publikum ganz schön ins Grübeln und schreibt ihnen ein fett leuchtendes "Häää?" auf die runzligen Stirnen.
Neben Nüssen und Mandarinen macht sich "Tussels in Brussels" außerordentlich gut im Nikolausstiefel. Wer jetzt noch schnell einen ordentlichen Drohbrief an den dickbauchigen Saisonarbeiter schickt, bekommt das Filmvergnügen vielleicht noch pünktlich zum Festtag. Es lohnt sich!
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