laut.de-Kritik
Das Blut rinnt in Bächen.
Review von Michael SchuhAls nächstes kommt eine total durchgeschossene Band, besser gesagt ein Duo, das es sich halb in England und halb in Amerika gemütlich gemacht hat, um einer Form von Rock'n'Roll zu huldigen, die anderen "The"-Bands wie den Strokes oder den Killers - und die bitte niemals verwechseln, liebe Leute! - mal so richtig den Allerwertesten kaputt haut. Freunde dieser Sendung erinnern sich natürlich an die hier gepriesene Band, bzw. an das formidable, um nicht zu sagen superbe Video zu "Fried My Little Brains" der Formation The Kills, die vor etwa zwei Jahren ein ultra-rohes, Hirn- und Darmtrakt zermalmendes - und da spreche ich keineswegs nur für mich! - Debütalbum vorgelegt haben.
So ähnlich hätte Charlotte Roche dieser Tage wohl die beiden Punkrocker von The Kills in ihrer Sendung "Fast Forward" anmoderiert. Dass die Veröffentlichung eines zweiten Albums eher als Überraschung zu werten ist, hätte die Indie-Expertin sicher auch nicht vergessen zu betonen. Fürchtete doch nicht nur Kollege Schiedel damals angesichts des aggressiven Untertons der Kills-Kompositionen ein Zerstörungspotenzial, dem sich die Protagonisten VV (Gesang) und Hotel (Gitarre) anschließend auf einer 18 Monate andauernden Tournee wie eine kampflustige Raubkatze im Fieber entgegenstellten.
Auch "No Wow" steckt wieder voller Krallen, die sich einem hinterrücks in die Haut schlagen. Da mag der gleichnamige Opener, ähnlich der Single "The Good Ones", mit trippelnden, steinalten Computerdrums noch so eine familienfreundliche Vorstellung ankündigen. Das Blut rinnt bald in Bächen. The Kills sind noch dunkler geworden, die Songstrukturen noch minimaler, das Ergebnis, genau wie das RAF-kompatible Cover: böse.
Aufgeplatzte Adern, Schürfwunden, Blut, Liebe. Nicht weniger vermittelte seinerzeit ein Kills-Auftritt im Münchner Hansa 39, wo sich Sängerin VV vor etwa 40 Zuschauern zu den Riffs und Hard Disc-Beats ihres Kollegen kettenrauchend auf dem Boden wälzte, als gelte es, den Lebenslauf von Iggy Pop in 45 Minuten nachzustellen. Ob Album-Hits oder Durchhänger; sämtliche Kills-Songs verwoben sich an jenem Abend zu einem Rausch aus Adrenalin, Magie und Sex.
Ein bisschen von allem muss das Duo auch beim neuerlichen Songwriting-Prozess im US-Kaff Benton Harbor/Michigan freigesetzt haben. Eineinhalb Stunden von Chicago und der Zivilisation entfernt, kleben die Kills Mitte vergangenen Jahres ihre neuen Stücke zusammen. Als Beatnik-Bewunderer arbeiten sie nach wie vor gerne mit Textcollagen aus Tagebucheinträgen, bleiben bewusst vieldeutig, und besingen auch mal ohne ironische Brechung einen Supermarkt-Einkauf in God's own Niemandsland, um genau damit die gefühlte Oberflächlichkeit der Gegenwart anzuprangern.
"There ain't no wow now" predigen sie im Opener und begeben sich anschließend auf Sinnsuche in einer schnellebigen, scheinbar inhaltsarmen Welt. Tragik und Wut lagen bei den Kills schon immer nahe beisammen. Die neuen Songs klingen jedoch kompakter und zielgerichteter als noch vor zwei Jahren, ob im zeternden Electro-Punk von "Love Is A Deserter" oder dem früher nicht für möglich gehaltenen Melodie-Ausbruch in "Rodeo Town". Stooges, Velvet Underground, Patti Smith; "No Wow" klingt wie eine digital überarbeitete Demokassetten-Bewerbung fürs CBGB's aus dem Jahr 1976. Auch die Umstände stimmen: Alle Songs wurden in 47 Tagen komponiert, gemixt und tiptop aufgenommen. Wow!
Noch keine Kommentare