laut.de-Kritik
Aufstieg und Fall? Eher ein Verbleib an Ort und Stelle.
Review von Dennis RiegerWenn in Popalbum-Titeln vom Aufstieg und Fall die Rede ist, handelt es sich oft um ein Indiz für musikalische Veränderung, noch öfter um eines für das große lyrische Pathos. Und wenn alles passt, wird mitunter auch noch herausragende Qualität abgeliefert – wie einst vom aufgestiegenen und wieder gefallenen Alter Ego des berühmtesten Chamäleons der Popgeschichte.
Und nun? Benennt mit The Rural Alberta Advantage eine Band, die in der Vergangenheit weder für musikalische Veränderung noch für das große Pathos bekannt war, ihr fünftes Album "The Rise & The Fall". Handelt es sich auch hier um ein Indiz für einen Wandel, gar um ein Indiz für einen Wandel hin zu potentiellen Stadionhymnen? Mitnichten. Die Indiefolker um Nils Edenloff – wieder ergänzt um die zwischenzeitlich ausgestiegene Backgroundsängerin und Keyboarderin Amy Cole – setzen wieder ein wenig mehr auf das Tastenspiel als auf dem Vorgänger "The Wild", zudem verlagert sich die Gewichtung zwischen Balladen und (gelinde) rockigen Songs weiter zu letztgenannten. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Im Guten wie im Schlechten.
Der Einstieg mit den atmosphärischen Rockern "CANDU" und "3 Sisters" gelingt vorzüglich. Zweitgenannter Song profitiert sowohl vom Wiedereinstieg Amy Coles, die ihn mit sphärischen Background-Uuh-uuhs veredelt, als auch vom kraftvollen Drumspiel Paul Banwatts. Wobei wir bei dem einen Alleinstellungsmerkmal der Kanadier angekommen sind: Banwatt lässt sich beim Eindreschen auf sein Equipment, insbesondere auf seine Bass Drum Pedal, nicht lumpen. Da staunt die Indiefolkrockdrummerkonkurrenz um Marcus Mumford oder John Moen nicht schlecht. Das genreunübliche Schlagzeugspiel tut "3 Sisters" gut, einigen Folgesongs allerdings nicht.
Knapp zweieinhalb Minuten lang überzeugt "Lifetime" als Ballade mit Handclaps und sphärischem Reverb-Backgroundgesang, ehe urplötzlich die Geschwindigkeit angezogen wird, Cole monoton in die Tasten haut und Banwatt auf seine Drums einprügelt. Das klingt unmotiviert, entzieht dem Song Atmosphäre und wirkt wie ein Zugeständnis an spätere Live-Darbietungen, damit sich auch kein bei Balladen notorisch geschwätziger Konzertbesucher gelangweilt fühlt. Auch "10ft Tall" beginnt gemächlich, um dann Banwatt Platz für seine technisch präzisen, aber in Songs wie diesem fehl am Platz wirkenden Trommelkünste zu gewähren. Fühlt sich hier jemand im Midtempo-Folkrock unterfordert und will sich mit Drum Fills um eine etwaige vakante Stelle der nächsten Inkarnation von Robert Fripps Schlachtross bewerben? Auch auf "Real Life" und dem nicht sonderlich somnambulen "Lullaby" kann man sich dieses Eindrucks nicht ganz erwehren.
Wie Paul Banwatt auf songdienliche Weise eingesetzt werden kann, zeigt "Our Youth". Hier gibt der Drummer endlich den Rhythmus vor, anstatt die Gesangslinien Nils Edenloffs übermotiviert bis unpassend zu begleiten. Geschmackvolle Pianotupfer runden das sehr positive Gesamtbild des besten Songs des Albums ab.
Was sich zu den Lyrics sagen lässt? Nils Edenloff schreibt weiterhin angenehm kryptische Zeilen, häufig über die melancholischeren Momente der Zweisamkeit. Manchmal wünscht man sich allerdings ein bisschen mehr Konkretheit in den Texten: Der suboptimal gewählte Albumtitel ist dem Song "10ft Tall" entlehnt, in dem Edenloff dem lyrischen Du vermittelt, er habe es in einem Traum um die im Songtitel erwähnte Größe anwachsen sehen. Warum? Man weiß es nicht.
Nach drei Fillern überzeugt der Closer "FSHG": Hier beweisen The Rural Alberta Advantage, dass sie mit Balladen weiterhin am meisten überzeugen. Ungewohnt unkryptische Zeilen wie "Between the Father and the Son and the Holy Ghost / You′re the only one that comforts me most in these times" würden bei anderen Bands unauthentisch klingen. Edenloff setzt seine angenehm nasale Stimme aber auch hier gekonnt ein und vermeidet jeglichen Schritt in die Kitschfalle. Da sollten auch bekennende Pastafari dem Sänger die frömmelnde Ode an die Liebste verzeihen können. Dem eigentlichen Song folgt noch Grillenzirpen und eine elektronische Soundspielerei im Stile von Sigur Rós. Mehr solcher gelinden Experimente hätten dem Album gutgetan.
Ihr Erstling "Hometowns" bleibt in seiner stimmigen Atmosphäre und dem der Band gut zu Gesicht stehenden Fokus auf gemächliche Songs das Referenzwerk der Kanadier. "The Rise & The Fall" unterscheidet sich kaum von den drei Nachfolgern des frühen Opus Magnum: Das ist schön, das ist nett, aber eben auch ein bisschen langweilig und vorhersehbar – inklusive der Drumsoliausflüge Paul Banwatts. Hier steigt nichts auf, hier fällt nichts, hier verbleiben The Rural Alberta Advantage solide und mit sich im Reinen an Ort und Stelle.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Wieder mal super gemacht:
Da verschläft laut.de die ersten 4 Alben einer Band (alle klar über Durchschnitt und das Erstlingswerk wirklich genial), um dann bei der Besprechung des 5 Albums zu meckern, da wär nichts neues....
Das erste Albung (liverpudlian (Uralt-Vordere) sei ewig Dank für den Tipp) habe ich von der Band als gebrannte CD-ROM mit Cover made by Tintenpisser bekommen.
Eines der größten Schätze meiner Sammlung.
Schmeiße das Ding gerade in die Playlist und schon die ersten Takte erzeugen Gänsehaut.
Nur Liebe für die diese grandiose Band.
5/5
Sollte aber hoffentlich jedem hier klar sein.
"und das Erstlingswerk wirklich genial"
Zweite steht dem Ersten in nichts nach.
Breitbeiniger Stadionfolk, nee danke. 1/5