laut.de-Kritik
Kein Fleisch, kein Krieg, aber jede Menge Tränen.
Review von Michael SchuhAlternde Musikjournalisten haben endlich wieder einen Daseinsgrund: The Smiths, britisches Nationalheiligtum und Indie-Könige a.D., veröffentlichen eine Best Of-Compilation als Doppel-CD.
45 Songs, die meisten bekannt, die meisten einflussreich, so gut wie alle einzigartig. Komponiert in einer Zeit, als man in England stellvertretend für einen immerwährenden Fluch den Begriff Tories benutzte und man ihre Heimat Manchester musikalisch noch nicht mit Oasis gleichsetzte.
Beim Thema Smiths kommen sie ja alle aus ihren Ecken gekrochen, die ewigen Indie-Wichtigtuer, die Oberveganer, mein Chef, alle reden sie mit, richtig dabei war allerdings fast niemand. Der Chef vielleicht, ich nicht.
Undenkbar, wie es gewesen sein muss, wenn man dies alles damals tatsächlich als sinnsuchender Jugendlicher erlebt hätte, etwa beim ersten Liebeskummer die Zeilen: "And if a double-decker bus / crashes into us / to die by your side / is such a heavenly way to die". Sensible Seelen wären heute jedenfalls nicht mehr da.
Noel Gallagher ist bekanntlich kein Mitglied dieser Spezies, daher heute noch da und schon 1983 dabei: "Ich arbeitete in einer Fabrik und stapelte Grundstücksschilder, als plötzlich 'This Charming Man' im Radio kam. Es hat mich umgehauen. Später sah ich sie mit 'What Difference Does It Make?' bei Top Of The Pops, sah Johnny mit seiner Brian Jones-Frisur und ab da war alles klar. Ich wollte so sein wie er."
So wie Gallagher erging es vielen Briten. Entweder sie verfielen den mitreißenden Gitarrenlinien von Saitenzauberer Johnny Marr oder dem sämtliche Songtext-Errungenschaften der Geschichte torpedierenden Poeten und Sänger Morrissey. Meistens beides.
Wobei der ikonenhafte Frontmann bis heute die größte Angriffsfläche bietet. Das war schon zu Gallaghers Jugendzeiten so: "Am Tag nach ihrem TOTP-Auftritt lästerten meine Kumpels: 'Habt ihr gestern diese Schwuchtel gesehen mit den Blumen hinten in der Jeanshose?' Das waren halt so Hooligan-Typen. Sie haben es nicht verstanden. Für mich veränderte sich ab diesem Tag alles."
Dass die Smiths seit ihrem Split 1987 von Jahr zu Jahr neue Fans akquirieren, ist eine ihrer größten Leistungen und Geheimnisse zugleich. Und dass man damals eben gerade nicht dabei gewesen sein musste, um sie abgöttisch zu verehren. Ihre Songs sind heute mindestens so legendär wie die mittlerweile 20-jährige Fehde ihrer Vordenker Morrissey und Marr.
In einem Punkt waren sich beide über die Jahre dann aber doch einig: Die von ihrem alten Label ungefragt rausgeblasenen Hit-Compilations geißelten sie stets als soundtechnische und ästhetische Totalausfälle. Deshalb erscheint jetzt "The Sound Of The Smiths", am Remastering-Pult überwacht von Meister Marr und mit einem Albumtitel versehen vom heutigen Solostar Morrissey.
Nun dürfte der leiser gemischte Sound der neuen Versionen dem Nicht-Musiker zunächst kaum auffallen. Spätestens im direkten Vergleich über Kopfhörer offenbart sich aber tatsächlich ein wärmeres und kompakteres Gesamtbild, das vom stets metallischen Knacken der 80er Jahre-Drums kaum etwas übrig lässt.
23 Hits auf CD1 und 22 B-Seiten auf CD2, von denen das Herz des Hardcore-Fans aber höchstens bei "This Charming Man" (New York Vocal), den Livetracks "London" und "Meat Is Murder" oder beim schönen "Pretty Girls Make Graves"-Demo davon galoppiert. Für jeden jungen, unbedarften Maximo Park- oder Franz Ferdinand-Fan bietet "The Sound Of The Smiths" dagegen einen durchaus sinnvollen Einstieg.
Wie gesagt, ich war damals noch zu jung, aber selbst in der Blüte meiner Jugend wäre es im beschaulichen Süddeutschland ohne Internet und mit SWF3 schwierig geworden, auf die Smiths aufmerksam zu werden. Oder um es mit Nick McCarthy von Franz Ferdinand zu sagen: "In Rosenheim gab es die Smiths nicht."
Maximal in Spex-Kreisen wurde dieser tränenrührende Melancholie-Kanon voll geschmeidiger Refrains thematisiert, was wohl an dessen Nichtrelevanz für die Charts lag, die sich wiederum aus einer schwer definierbaren, passiven Zugänglichkeit der eigentlich eingängigen Melodien speiste. Smiths-Songs werfen sich einem nicht an den Hals, man muss sich ihnen schon selbst ein wenig öffnen. Und dazu sollte man bestenfalls die Texte verstehen.
Fairerweise muss man zugeben, dass dies dem gebürtigen Briten leichter fällt als einem deutschen Mittelstufler, jedenfalls wenn es um homoerotische Bezüge in "William, It Was Really Nothing" oder "This Charming Man" geht. Was ab 1985 aber jeder wusste: Morrissey isst kein Fleisch, ist Pazifist und kämpft als hochgeschossener Einzelgänger mit Kassengestell auf der Nase exemplarisch für alle Stubenhocker und Pickelgesichter dieser Welt.
Seine Texte lesen sich wie Tagebucheinträge, intim, schonungslos offen, nie verklausuliert und stets zwischen Ironie und Sentiment. "I was looking for a job / and then I found a job / and heaven knows I'm miserable now". Dass er in seinem Heimatakzent sang, erinnern sich Mancunians wie Ian Brown, war eine große Sache. Morrissey hatte auch keine Probleme damit, eine Zeile mehrfach zu singen, er änderte dann einfach die Melodie. Manchmal jodelte er sogar, worauf man als Brite auch erst mal kommen muss.
"And if you have five seconds to spare / then I'll tell you the story of my life" - wie viel Witz und Zynismus die Texte dieses angeblich so verdrießlichen Jammerlappens aufwiesen, fiel erst viel später auf. Dabei hätte man es beim erwähnten Doppeldecker-Busunglück längst merken müssen. Sogar von Bono ist überliefert, dass er "Girlfriend In A Coma" zum ersten Mal im Auto hörte und vor Lachen fast im Graben landete.
Leuchtender Fixstern der Tracklist bleibt trotz persönlicher Höhepunkte wie "Still Ill" oder "William It Was Really Nothing" natürlich "How Soon Is Now?", von Nichtauskennern gerne als atypische Smiths-Nummer bezeichnet. Entstanden ist sie aber, weil Marr seiner Pflicht für eine B-Seite bereits nachgekommen war und sich nun mit dem markanten Tremolo-Riff ein bisschen gehen lassen konnte.
Can und Creedence Clearwater Revival nannte er einmal als Referenzen für den unerbittlichen Groove. Da hatte sich plötzlich sogar die Funkband-Vergangenheit von Basser Andy Rourke gelohnt. Aus einem glücklichen Unfall also, einem Maxisingle-Experiment ähnlich New Orders "Blue Monday", wurde mit Morrisseys drängendem Text eine der großen Jugendhymnen der 80er.
Buzzcocks-Basser Steve Diggle bringt es für uns alle auf den Punkt: "If you don't get The Smiths, you don't get life itself."
26 Kommentare
beste band der welt
feine review zu einer absolut genialen band!
geniale rezension zu einer noch genialeren band.
@Zapato El Don (« ok, joyce is eh raus, was aber nicht heißt, dass moz und marr wieder toll miteinander auskommen. sie hassen sich vielleicht nicht mehr, aber in den späten 90ern und jetzt wieder haben sie aufgrund tantiemen bzw. der best of nur widerwillig miteinander kommuniziert, wenn ich meine 18 abonnierten newsletter richtig verfolgt habe »):
Seit dem Verkauf des Backkatalogs an Warner und im Rahmen der Gerichtsverhandlung haben sich Morrissey und Marr öfters getroffen - und vor einigen Jahren wohl auch komplett ohne finanziellen Hintergrund (wenn man den Gerüchten auf Morrissey-solo glauben kann und auch verschiedene Interviews von beiden).
Von einer neuerlichen Apathie zwischen beiden hab ich jedenfalls nichts mitbekommen. Und die angesprochene Fehde zwischen Beiden sollte eigentlich spätestens mit Your Arsenal Geschichte gewesen sein.
@Zapato El Don (« nun ja, was hast du erwartet? ein morrissey diary? aktuelle fotos mit rechtsanwälten? »):
Z. B. Linernotes, (die sonst obligatorischen) Texte etc. Es gibt genügend Leute, die über Smiths schreiben können und wollen - Nick Kent oder Simon Goddard z. B. Rogan dürfte ja wohl eher rausfallen. Leider.
Von der Aufmachung war und bin ich enttäuscht. Nur die ltd. Edt. Singles-Box sieht richtig nett aus.
Vielleicht kommt ja noch die Box - und dann bitte mit allem Kram (die Sandie Shaw-Songs z. B.).
gut, da könnte man jetzt ewig diskutieren. ich glaube nicht, dass morrissey und marr sich auf nen kaffee treffen. wenn, dann höchstens wegen business-sachen und nicht wegen gemeinsamen verfassens von liner notes
aber ich war auch amüsiert, ein booklet mit über 20 fotos, viele davon unbekannt. da hat sich einer richtig mühe gegeben. liner notes hätten halt bedeutet, nochmal richig in der vergangenheit zu baden, nicht jedermanns sache ...
Mini-kleine Anmerkung: Steve Diggle war nur in der Anfangs-Besetzung der Buzzcocks Bassist und wechselte schon sehr bald zur Gitarre über, die er dort nun seit über 30 Jahren bedient.
Zur Rezi selbst: danke hierfür! Gut geschrieben und die Relevanz der Smiths für die gesamte Pop-Kultur wunderbar dargestellt.