laut.de-Kritik
Schwarz-weiß statt braun: Mit Turbo-Ska gegen Rassismus.
Review von Michael Schuh27 Jahre lang warteten Fans auf eine Reunion der Specials in Originalbesetzung. Das ist – Stand 2014 – exakt so lange, wie Smiths-Fans auf eine Reunion von Johnny Marr und Morrissey hoffen. So aussichtslos dies bei den Manchester-Boys auch sein mag, bis 2008 sieht es bei den Specials genau so trist aus. Die Trennung verlief nicht im Einvernehmen und so erfolgt die Annäherung der zerstrittenen Parteien zwangsläufig auf Samtpfoten. Es ist ein stimmiges Bild, dass das siebenköpfige, britische Kultur-Heiligtum ausschließlich von nachgewachsenen Fans aus dem Vereinigten Königreich reanimiert werden konnte.
2004 bringen die Britrocker The Ordinary Boys Sänger Terry Hall dazu, erstmals wieder auf der Bühne einen Specials-Song zu singen. Zwei Jahre später überreden Hard-Fi den Bandgründer Jerry Dammers und Shouter/Tänzer Neville Staples zu einem gemeinsamen Auftritt für den Song "Ghost Town" im Rahmen einer "Rock Against Racism"-Veranstaltung. Terry Hall und Gitarrist Lynval Golding wiederum nehmen 2007 freudig die Einladung von Damon Albarn an, der sie um eine Kooperation beim Glastonbury Festival auf der von ihm kuratierten Afrika-Bühne bittet.
2008 dann die ersehnte Gegenüberstellung. Doch die Originalbesetzung hält es nur wenige Wochen miteinander aus. Songwriter/Keyboarder Jerry Dammers besteht auf interner Deutungshoheit, woran sich Golding mit Grausen erinnert: "Er wollte wieder der Boss sein wie 1981, als wir den Karren an die Wand gefahren haben. Wir sagten: Schau, wir sind keine naiven Schulbuben mehr, wir wollen ein Familiending und alle an einem Strang ziehen. Sechs von sieben Leuten waren dieser Meinung. Er kam damit nicht klar. Nun, die Berliner Mauer ist gefallen, Diktaturen funktionieren nicht mehr." Dammers behauptet seither, er sei ausgebootet worden.
Irgendwie befremdlich, dass gerade eine Band mit überlebensgroßer "Love, Peace & Unity"-Message im Inneren nicht die Kraft zur Aussöhnung aufbrachte. Gleichzeitig symptomatisch, dass The Specials seit 2008 auf Konzerten von Australien bis Kanada abgefeiert werden, als wäre Dammers noch dabei. Der Sog und die Energie ihrer Musik, und damit spreche ich natürlich in erster Linie vom "Specials"-Debüt, ist einfach noch immer zu stark.
Im März 1978 nehmen sieben Twentysomethings aus der mausgrauen Arbeiterstadt Coventry ihre ersten Demos auf. Dammers, von Anfang an treibende Kraft, sucht sich gezielt Gefolgsleute, die den rebellischen Geist der angesagten Punk-Bewegung genau so wertschätzen wie Ska, Rocksteady und Reggae aus den 60er Jahren. Dass er mit Gitarrist Golding und Shouter Staples zwei farbige Mitstreiter findet, ist kaum verwunderlich: Coventry wurde im Zweiten Weltkrieg massiv zerbombt und entwickelte sich aufgrund karibischer Einwanderer nach der Wiedererrichtung in den 50er Jahren zu einer multikulturellen Stadt, bevor der Terminus überhaupt existierte. Dammers erkennt früh, dass sein neuer Sound auch visuell Eindruck schinden muss. Er will ein Image.
Nachdem Rock-Dinosaurier Eric Clapton Jahre zuvor mit haarsträubenden Äußerungen zur britischen Integrationspolitik und lobenden Worten für die rechtsextreme National Front auffällt, wird Rock Against Racism zur großen Idee der Specials. Mit ihren Songs positionieren sie sich klar gegen Rassismus und Diskriminierung jeder Art. Sie veröffentlichen auf dem von Dammers gegründeten Label 2-Tone, dessen schwarz-weiß kariertes Logo diese Haltung symbolisiert.
Und die Bandmitglieder definieren mit dem "Specials"-Cover einen neuen Look, der sich am Chic der britischen Mods und der jamaikanischen Rude Boys (randalierende, meist trinkfeste Anhänger des 60er Ska) orientiert: Pork Pie-Hats (runde Filzhüte), Loafers (Halbschuhe), Fred Perry-Shirts, Harringtonjacken und schwarz-weiße Anzüge der 60er. Kurz: Dammers erschuf einen neuen Lifestyle, der dank der stilsicheren Wahl des Jahrzehnts zeitlos cool ist wie "Reservoir Dogs".
Und die Musik? Sie klingt 2014 so ansteckend und unkopierbar wie Ende der 80er, als nach kurzer Verschnaufpause die "Third Wave Of Ska" (Rancid, Sublime, Bosstones, The Butlers, The Busters etc.) ins Rollen kam. Was zum einen sicherlich an Terry Halls genuiner, sich dauerüberschlagender Stimme liegt, aber auch zu großen Teilen an einem damaligen New Wave-Star. Elvis Costello, der zahlreiche Support-Gigs der Band für die UK Subs, The Clash oder Gang Of Four besucht, ist von der Punk'n'Reggae-Fusion wie übrigens auch Joe Strummer hellauf begeistert und bringt sich erfolgreich als Produzent ins Spiel. Für diesen unmittelbaren, rohen Klang, dank dem das unter Live-Bedingungen eingespielte "Specials" wohl niemals Patina ansetzen wird, muss man den Brillenträger noch mehr lieben als für seinen Ausnahmetrack "Shipbuilding".
Unfassbarerweise ruft "Specials", das im Oktober 1979 zeitgleich mit dem zweiten 2-Tone-Klassiker "One Step Beyond..." von Madness erscheint, in der Presse gemischte Reaktionen hervor. Vor allem Costello bezieht Prügel von Leuten, die wohl allen Ernstes eine funkelnde Hochglanzproduktion erwarteten. Auf die Initialzündung "Gangsters", die die neue Jugendbewegung losgetreten hat, verzichtet die Band einfach. Es gibt genug großartiges Material.
Bei "A Message To You Rudy" (mit Posaunist Rico Rodriguez) denkt heute niemand mehr an Dandy Livingstones gleichwohl ebenso bezaubernde 1967er Version.
Der smarten Reggae-Verbeugung folgt die Punk-Keule "Do The Dog", die wie auch "Concrete Jungle" die harte, soziale Realität der Gruppe reflektiert, die 1981 zu Rassenaufständen in Brixton und Liverpool führen sollte. Mit keifendem Furor lässt sich Hall etwa über die rassistische Unterwanderung der Skinhead-Kultur aus, die sich in Specials-Shows teilweise in wüsten Saalschlachten äußerte.
So wie "Gangsters" sich an Prince Busters "Al Capone" anlehnte, bedient sich die Band an zahlreichen vergessenen Jamaika-Legenden. Von Toots & The Maytals covern sie "Monkey Man", "You're Wondering Now" ehrt die Skatalites und "Too Hot" stammt erneut von Jamaikas Hitmonster Prince Buster. Das Gerichtsthema in "Stupid Marriage" führt dessen zahlreiche "Judge Dread"-Songs fort, in denen Rude Boys schon mal zu 400 Jahren Haft verurteilt werden.
Beeindruckend ist nicht nur, dass diese Vorlagen im Specials-Kontext alle einen neuen Dreh bekommen, sondern dass selbst die Eigenkompositionen locker mithalten: Dammers' trostloses Suff-Utopia "Nite Klub" mit den legendären Zeilen "I won't dance in a club like this / Cause all the girls are sluts / And the beer tastes just like piss" oder eben Roddy Radiations "Concrete Jungle", das seine Chuck Berry-Vorliebe gar nicht erst verbirgt.
Aus dem eisigen "Blank Expression" klaut Tricky 15 Jahre später die Zeilen "I walk in a bar and immediately / I sense danger / You look at me girl as if I was some kind of a / a total stranger" für den Massive Attack-Song "Eurochild". Der Kontrast zwischen Terry Halls missionarischem Vortrag und dem Party-Gebell von Neville Staples machte die Band ebenso unique wie später Chuck D und Flava Flav den Sound von Public Enemy.
Die eigenen Hits und die der Label-Signings Madness, The Beat und The Selecter lassen Dammers einige Zeit von einem britischen Motown-Äquivalent träumen, doch Madness und The Beat verlassen bald sein Mini-Label und folgen dem Ruf der finanzkräftigen Industrie. Für das Folgealbum "More Specials", auf dem Dammers die Gruppe hin zu einem von sämtlicher Energie befreiten Psychedelic-Sound treibt, der als Trip Hop-Blaupause gilt, reicht es noch.
1981, kurz nach dem größten Single-Hit "Ghost Town", implodiert die Band. Ein letztes antirassistisches Ausrufezeichen setzt Dammers 1984 mit der Splittergruppe The Special A.K.A.: Der Hit "Free Nelson Mandela" trägt das Schicksal des inhaftierten südafrikanischen Anwalts in gewohnt tanzbarer Form in die Mitte der Gesellschaft.
Dabei sangen sie schon auf ihrem Debütalbum: "Just because you're a black boy / Just because you're a white / It doesn't mean you've got to hate him / It doesn't mean you've got to fight" ("Doesn't Make It Alright"). Daher zählt "Specials" zu den wichtigsten Alben der Postpunk-Ära: Die Songs definierten eine Haltung, ebneten den Weg für einen linken Flügel der Popkultur und, vielleicht das Wichtigste, spricht auch über 30 Jahre später die Jugend noch dort an, wo sie sich aufhält: Auf der Tanzfläche.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit einer Antwort
Grundsätzlich bin ich kein großer Ska/Reggae Fan (gerade von deutschen Acts bekomme ich häufiger Ausschlag).
Die 2 Tone Acts gingen mir allerdings immer gut rein. Gerade das Album hier und das Debüt von The Beat sind großartig und haben über die Jahre nichts von ihrem Charme verloren.
Welche deutschen Acts meinst Du? Busters?
Da geb ich Dir recht, da bekomm ich nicht nur Ausschlag sondern auch Pickel.
Allerdings gibt es auch einige ganz ordendliche Bands - No Sports, Skaos und Blechreiz. Die stehen wenigstens zu ihren Wurzeln.
Ich mag den zappligeren Stil von „One Step Beyond“ mehr, aber irgendwo hab ich ein Herz für diese Art von Musik. Die klingt so anarchistischen wie Punk gern wär.
Verdiente Würdigung! Vermisse im Artikel im Bezug auf 2-Tone nur noch Hinweise auf wichtige Vertreter wie "Bad Manners" und "The Selecter".