laut.de-Kritik
Vertonte Gedanken zum Klimawandel.
Review von Simon ConradsTamara Lindeman ist wahnsinnig gut darin, ihr Innenleben gerade so präzise zu schildern, dass Hörer*Innen ihre eigenen Sorgen und Ängste dennoch auf die schablonenhaften Texte legen können. Schon aus dem verjazzten Opener "Robber" ihres mittlerweile fünften Studioalbums ergeben sich zahlreiche Lesarten, die dennoch alle erstaunlich konkret wirken: "You never believed in the robber / You thought a robber must hate you / To wanna take from you / The robber don't hate you", haucht sie und erinnert stimmlich an Laura Marling oder folgerichtig auch an Joni Mitchell.
Es könnte hier um toxische Beziehungen gehen, deren negativen Effekte man zu lange nicht erkennt. Oder um eine Kritik am Kapitalismus, um Besitz, der ungleichmäßig verteilt wird. Angelegt ist aber auch die sich langsam einstellende Erkenntnis, dass der Klimawandel, der viel zu lange unsichtbar bleibt, doch todernst zu nehmen ist.
Diese Sorge, die Anklage der eigenen "Ignorance" übersetzt Lindemann auch auf den restlichen neun Songs in luftigen Folk-Rock, der immer wieder an Marlings Projekt Lump erinnert, zuweilen aber auch - auf sympathische Weise - an den letztjährigen, zweiten Hype von Fleetwood Macs "Dreams". Besonders gut tut den Stücken der neue Drive mit größerer Band, die Streicher- und Bläser-Einwürfe und der ausgewogene Mix aus düsteren und luftigeren Klangwelten.
Während "Robber", wie Lindeman im Interview mit Studiogum verriet, ursprünglich auf einem Spielzeug-Keyboard geschrieben wurde, entstand der Mantra-artige Sog der finalen Version erst, als sie ihr Stück mit in den Band-Proberaum brachte. Dabei wirkt der Song seltsam bedrohlich und scheint dennoch zu schweben.
War Lindemans Projekt auf den letzten Alben noch den Country-Klängen verpflichtet, gelingt ihr auf "Ignorance" nun die Hinwendung zum Pop - was ihrem Sound gut steht. Besonders die Stücke begeistern, in denen man Fleetwood Mac zu hören meint, etwa die leichtfüßigen "Tried To Tell You" und "Parking Lot". Ersteres kippt ähnlich wie "Dreams" in eine eingängige und unaufdringliche Hook, die von einem charmanten Streichermotiv unterstützt wird.
Wieder lässt sie inhaltlich viel Interpretationsspielraum zu, wirft aber kurz vor Ende ein: "I'll feel as useless as a tree in a city park / Standing as a symbol of what we have blown apart". Das Thema Umwelt greift sie aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger auf, eher weist sie darauf hin. Tamara äußert sogar Verständnis für die weitverbreitete Ignoranz gegenüber ungemütlichen Themen. "Thinking I should get all this dying off of my mind / I should really know better than to read the headlines", heißt es etwa in "Atlantic". Genießen kann man "Ignorance" auf der rein musikalischen Ebene trotzdem.
Auf die fantastische Pianoballade "Trust", in der Lindemans zarte Stimme ganz besonders glänzt, folgt der tanzbarste Song des Albums: "Heart". Ihre Stimme steht auch hier im Mittelpunkt, präsent sind aber auch Percussion-Elemente, während Gitarren nur gelegentlich aufblitzen. Das Stück würde Lust auf ein komplettes Album machen, in dem sich Lindeman straighterem Pop hingibt. Trotz des luftigen Sounds bleibt die Musikerin persönlich und grüblerisch: "No, I don't have the heart to conceal my love / If it is too hard to look at me, I can show myself out / Walk out in the city / You can bury me in doubt if you feel it necessary".
Ähnlich intim wird Lindeman in "Loss", einem der treibendsten Stücke des Albums mit großartiger Pianomelodie. Hier besingt die Kanadierin einen nicht näher definierten Verlust: "What was it last night she said? / At some point you'd have to live as if the truth was true / When it gets too hard to not feel, but you do / Not know what you knew." Mit dem lässigen "Subdivisons" klingt diese wunderbare, dynamische und dennoch eindringliche Platte aus. Dabei ist es besonders Lindemans offenherzige, nicht belehrende Art, die das Album so zugänglich macht.
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