laut.de-Kritik
A Night At The Opera.
Review von Michael SchuhMeg White hält auf dem Cover der neuen White Stripes-Platte einen Apfel in der Hand, für die jüngst begonnene Album-Tournee bereist die Band die Medienmetropolen Kaliningrad, Ljubljana und Novi Sad, und wie es aussieht, scheint 2005 auch der Satan seine Reize auf Jack White auszuüben. Schon bevor man überhaupt etwas vom neuen Material zu hören bekommt, verschärft "Get Behind Me Satan" damit den im White Stripes-Kontext über die Jahre lieb gewonnenen Mystizismus um einige weitere Noten.
Dass sich Chefdenker Jack White mittlerweile einen respektablen Desperado-Look mit Bärtchen und Hut zugelegt hat, passt da durchaus ins Bild und könnte glatt von Busenfreund und Film-Ästhet Jim Jarmusch inspiriert worden sein (der sich über Credits im Booklet freuen darf). Die biblischen Referenzen lassen ebenfalls Raum für Spekulationen: Nehmen wir einfach mal an, die umtriebige Meg hat ihren Apfel vom Baum der Erkenntnis gepflückt. Bekanntlich hätte dieser Akt die Vertreibung aus dem Paradies zur Folge. Dies wiederum will der an Beschützerinstinkten reich gesegnete Jack natürlich nicht zulassen, also verwandelt er sich in eine Art schwarzen Rächer, und komponiert flugs, in nur zwei Wochen nämlich, ein Opus, um Gottes Entscheidung rückgängig zu machen. Natürlich geht es darin um nichts weniger als die nackte Existenz, weswegen er scheinbar auch ostentative Falsetto-Prahlerei für nötig erachtete.
"Hinter mich, an deinen Platz!", krakeelt White so mit dem Satan im Auge und unter Zuhilfenahme des Matthäus-Evangeliums im Opener "Blue Orchid", dessen elektrifizierendes Lead-Riff den einzigen Grund für die Single-Wahl darstellt. Auch sonst sind die Kompositionen des Neo-Mariachis dieses Mal derart ausgefuchst und wirr, dass "Get Behind Me Satan" insgesamt eine unerwartete Künstlichkeit verströmt. Künstlich - ein Wort, das bislang höchstens als Gegenpol für den knatternden Rocksound des Duos herhalten durfte, scheint plötzlich auch in Detroit zuhause. Kompositorische Hakenschläge und ein größtenteils unkommerzielles Song-Sammelsurium dürften über die Armada der "Seven Nation Army"-Mosher und das Nervenkostüm der Plattenfirma jedenfalls wie eine Elefantenherde hinwegtrampeln.
Statt das Rezept des Megaseller-Vorgängers "Elephant" neu aufzuwärmen, strotzt "Get Behind Me Satan" vor detailreicher Experimentierwut und gesellt sich in diesem Punkt durchaus in eine Riege mit bekannten Ambitionsprodukten wie "Kid A" und "A Night At The Opera". Whites Bühne ist indes nicht die glamouröse Oper, sondern eher der Hades, jedenfalls ein Ort, den kein Lichtstrahl mehr erfassen kann. Zwar stößt man auch nach zwanzig Hördurchgängen immer wieder auf neue genialische Eingebungen des Maestros, als Leitmotiv ist jedoch höchstens Undurchschaubarkeit zu nennen.
So gefällt "The Nurse" zwar in seinen Grundzügen als ruppiger Parforce-Ritt mit Piano und lieblichen Marimbaklängen, die abenteuerlich gesetzten Drum-Breaks der lieben Meg bleiben dagegen wenig nachvollziehbar. Mit der potenziellen Nachfolgesingle "My Doorbell" kehren die White Stripes kurz zu ihren juvenil-stürmischen Blues-Tagen zurück, bevor mit "Forever For Her (Is Over For Me)" ein erstes Album-Highlight folgt, das auch Nick Cave abnicken würde. Hier funktioniert das komplizierte Gebilde aus Brecht/Weill-Instrumentierung, Harmonie und Ausdruck prächtig.
"The Denial Twist" hätte dagegen, vom Piano abgesehen, auch auf den letzten beiden Alben vertreten sein können, während der Balladen-Brocken "White Moon" daher kommt wie ein Kafka-Text: düster, schwermütig und existenzialistisch. Nicht umsonst steht auch Prag auf der Tournee-Liste. Doch so schnell nimmt der Wahnsinn kein Ende: der "Instinct Blues" stellt selbst für das Detroiter Duo einen neuen Härtegrad an Intensität dar, "Take Take Take" ist nichts weniger als ein manischer Schizo-Rocker, und mit "Red Rain" gelingt Jack die bislang trefflichste Led Zeppelin-Verbeugung (auch wenn John Bonham da anderer Meinung sein könnte).
Auf ein Duett müssen wir diesmal verzichten, obwohl sich die Piano-Verabschiedung "I'm Lonely (But I Ain't That Lonely Yet)" herrlich dafür angeboten hätte, allein schon der Akkordnähe zu "Changes" wegen, das Dunkelfürst Ozzy jüngst mit seinem Töchterchen neu aufnahm. Meg bevorzugte stattdessen eine 35-sekündige Performance ("Passive Manipulation"), um mal wieder das Thema Inzest anzuschneiden.
Mit der Hillbilly-Hommage "Little Ghost" und dem perkussiven Akustikstück "As Ugly As I Seem" sind zwar noch zwei melodische Beiträge vorhanden, dennoch bleibt der Gesamteindruck bestehen, dass hier eine Band so rücksichts- wie kompromisslos um die Durchsetzung der eigenen Ziele bemüht war - ungeachtet der zahlreichen Erwartungshaltungen. Was bei aller Verstörtheit im Ergebnis ja grundsätzlich sympathisch ist. Es geht um Kunst. Und welche Band, die einen gewissen Status inne hat, fordert heutzutage noch ihre Hörer?
2 Kommentare
das ich der erste bin der dieses Kunstwerk kommentiert ist eine Schande. 3/5 Sternen viel zu wenig :S
Schäm dich Dude!