laut.de-Kritik
Bissige Abrechnung mit dem amerikanischen Nationalstolz.
Review von Andrea TopinkaMit zerstückelten "Ooh"-Chören steigt Tim Kasher in seine zweite Soloplatte "Adult Film" ein, ehe die elektronische Orgel Fahrt aufnimmt. Ein wildes Mischmasch aus Synthies, Bass, Percussions und Gitarre unterstreicht die vermeintlich jauchzende Stimmung in "American Lit": "Yes, we are great Americans!" ruft der Musiker aus Omaha. Jeder, der ihn jedoch kennt oder den Song tatsächlich hört, weiß, dass diese Zeilen nur so vor Ironie triefen und mit dem amerikanischen Nationalstolz abrechnen.
An dieser Stelle erstmal alle Daumen hoch für die Rückkehr zu seinen lyrischen Wurzeln: Denn letztes Jahr veröffentlichte Kasher mit seiner Band Cursive das Album "I Am Gemini", ein gehöriger Griff ins Klo. Er erzählte die Geschichte eines getrennten Zwillingspaars, das sich zum ersten Mal trifft und sich gegenseitig mit abgefahrenen Experimenten und Psychospielchen in den Tod treibt. Dabei teilte er (allerdings nur unter sich selbst) die einzelnen Sprecherrollen wie bei einem Theaterstück auf. Klingt ambitioniert, am Ende kam jedoch nichts anderes als ein paar dahingeschrammelte Gitarren-Tracks mit grenzwertigen Texten raus.
Auf "Adult Film" bleibt der Songwriter aus dem Saddle Creek-Umfeld rund um Conor Oberst bei weltlichen, greifbaren Themen. Stets von Zweifeln und Glücklosigkeit verfolgt, klappert er seine Lieblingprobleme ab: kaputte Beziehungen ("Where's Your Heart Lie"), neurotische Panikattacken ("Truly Freaking Out") oder skeptische Blicke auf das Leben im Allgemeinen ("A Raincloud Is A Raincloud").
Doch auch wenn Tim Kasher in den letzten 20 Jahren stets als Musterbeispiel für einen geplagten Künstler durchging – seine Band The Good Life gründete er beispielsweise, um mit seiner Scheidung klarzukommen -, weinerlich präsentierte er sich dabei selten, vielmehr mit einer bissigen Bitterkeit. Die hat er auf der zweiten Solo-Platte immer noch nicht verloren: "And when the going's good, I'm constantly covinced that it's a curse / With my luck we'll marry, have to lovely children / And a ranch in the 'burbs where we'll be murdered" ("You Scare Me To Death").
Instrumental legte sich Tim Kasher wieder deutlich mehr ins Zeug als auf seinem letzten Werk mit Cursive. Die harten Gitarren-Riffs ("A Looping Distress Signal") fehlen natürlich genauso wenig wie eine sanfte Akustik-Nummer ("A Lullaby, Sort Of"). Doch er nutzt ebenfalls das breite Repertoire seiner Karriere und seiner Gastmusiker: elektronische Orgeln überdrehen sich im einen oder anderen Ausbruch ("Truly Freaking Out"), die eine oder andere Trompete schaffte es von seinem Solo-Debüt "The Game Of Monogamy" auf den Zweitling rüber ("The Willing Cuckold"), er tobt sich an Synthies und Percussions aus, und zur Mitte kehrt sogar die Geisterstimmung von "I Am Gemini" für die unheimlichen Tracks "Lay Down Your Weapons" und "You Scare Me To Death" zurück.
Piano-Balladen schmiegen sich an Gitarren-Rock gemischt mit Folk und aufgekratztem Indie-Pop, das Durcheinander wäre damit perfekt. So fehlt es "Adult Fim" insgesamt gesehen ein bisschen an einer klaren Linie. Obwohl die Texte mit Charme und Glaubwürdigkeit überzeugen, seine früheren Songwriting-Höhepunkt erreicht Tim Kasher damit leider nicht. Ein großer Schritt zurück auf den richtigen Weg ist ihm trotzdem gelungen. Und da er erfahrungsgemäß nicht lange stillhalten kann, schafft er vielleicht ja schon nächstes Jahr wieder einen großen Wurf.
1 Kommentar
Überdreht, kreativ, gut.