laut.de-Kritik
Wie ein alter Bekannter.
Review von Josephine Maria BayerDas Dylan-Biopic "Like A Complete Unknown verfolgt Bob Dylans skandalöse Abkehr vom Folk der 60er-Jahre hin zu wilden Rock'n'Roll-Klängen und kryptischen Poesieausbrüchen. Der dazugehörige Soundtrack umfasst 23 Songs, die größtenteils aus Dylans Feder stammen und sein Frühwerk, inklusive seiner kreativen Metamorphose, gekonnt repräsentieren. Wer von Timothée Chalamets Darbietung in der Hauptrolle angetan war, dürfte an diesem Album Freude haben.
Chalamet, der sich ganze fünf Jahre auf diese Rolle vorbereitete, zieht mit nahezu originalgetreuen Imitationen den Hut vor dem Altmeister, der dem jungen Schauspieler seinen Segen für die Rolle gab: "Timmy ist ein brillanter Schauspieler, also bin ich mir sicher, dass er mich absolut glaubhaft darstellen wird. Oder ein jüngeres Ich. Oder ein anderes Ich.", ließ er in einer Filmankündigung in den sozialen Medien verlauten.
Kratzig, nasal und roh schmettert dieser "andere Bob" einen Hit nach dem anderen. Für den Part lernte er eigens, Gitarre und Mundharmonika zu spielen. Das Ergebnis überzeugt, nicht im Entferntesten klingt es nach dem amateurhaften Geklimper eines Anfängers. Seine Fingerpicking-Spieltechnik sitzt genauso wie kraftvollere Strumming-Patterns. In "It's All Over, Baby Blue" gibt er den Mundharmonika-Parts eine eigene, verspielte Note. "Maggie's Farm" kommt noch einen Hauch rockiger als das Original daher, denn die E-Gitarre wird hier mit zusätzlichen Riffs etwas deutlicher herausgearbeitet. Der Song markiert im Film den Moment, als Dylan seine Akustikgitarre ablegte und beim Newport Folk Festival 1965 plötzlich mit einer Rockband auftrat – ein Hochverrat für viele Fans der Folkszene.
Neben Interpretationen von Chalamet beinhaltet der Soundtrack Coverversionen von Joan Baez (gespielt von Monica Barbaro), Johnny Cash (Boyd Holbrook) und Pete Seeger (Edward Norton). Barbaros Darbietung fängt die Mischung aus Kraft und Zärtlichkeit von Baez' Stimme glaubhaft ein – besonders eindrücklich ist ihr "House of the Rising Sun", Baez’ typisches Vibrato fehlt jedoch. Holbrook bringt Cashs lausbübische Energie und feurigen Elan mit Interpretationen von "Folsom Prison Blues" und "Big River" herüber. Im Film tritt dieser als eine Art Vermittler zwischen dem zunehmend rockig gesinnten Dylan und Folk-Enthusiast Seeger auf.
Letzterer wird dank Nortons lebhafter Imitation gewürdigt: "Wimoweh (Mbube)" klingt fast genau so wie Live-Aufnahmen des echten Seegers und verdeutlicht, wie er ganze Konzertsäle mit Charme und verständlicher Instruktion zum Satzgesang animierte. Besonders rührend ist "When the Ship Comes In", im Film als Duett zwischen ihm und Bob inszeniert. Bei der Jam-Session begleitet Norton in glaubhafter Seeger-Manier den Gesang der beiden mit einem Banjo.
Die Aufnahmen entstanden live am Filmset mit originalem Aufnahmeequipment aus den Sechzigern, um dem Sound der damaligen Zeit so nahe wie möglich zu kommen. Der Soundtrack zu "A Complete Unknown" ist damit nicht nur eine musikalische Hommage an Bob Dylans bahnbrechende Entwicklung als Künstler, sondern auch eine geglückte akustische Zeitreise, die das "Sturm und Drang"-Kapitel des Sängers angemessen würdigt.
Noch keine Kommentare