laut.de-Kritik
Ambient-Musik für Mikroben.
Review von Giuliano Benassi1910 gelang F. Percy Smith mit "The Birth of A Flower" eine Sensation, denn er hatte es geschafft, das Keimen und Blühen einer Blume als Kurzfilm darzustellen. Bis 1945 drehte er eine ganze Reihe an weiteren Streifen, die sich mit Pflanzen und Lebewesen im mikroskopischen Bereich beschäftigten. Viele entstanden in seinem Haus im Norden Londons, wo er sich ein Studio eingerichtet hatte und an technischen Lösungen, etwa für Zeitraffer oder konstante Beleuchtung, tüftelte. Seine Tätigkeit endete 1945, als er sich im Alter von 65 Jahren das Leben nahm.
Einige von Smiths Dokumentationen hat das British Council auf seiner Webseite zur Verfügung gestellt. Interessanter ist jedoch der Zugang Stuart F. Staples, der das Material neu geschnitten und Mithilfe seiner Tindersticks, der Pianistin Christine Ott und dem Perkussionisten Thomas Belhom, einem ehemaligen Bandmitglied, vertont hat.
Musikalische Begleitung für Mikroben, sozusagen. Denn während Eier befruchtet werden und Zellen fröhlich vor sich hinschwimmen, entfaltet sich die bedeutungsschwangere, dennoch mysteriös leicht anmutende Musik der Band. Die auch ohne die Stimme Staples unverwechselbar ausfällt. Die Präsenz des Sängers ist so stark, dass es sich nicht mal ans Mikrophon bemühen muss.
Eher als um Tracks handelt es sich um Ambient-Musik ohne erkennbare Song-Strukturen. Es rauscht, fiept, vibriert, scheppert und blubbert, die Klänge sind mit viel Hall angereichert, oft verdichtet. Eine exotische, nicht wirklich anziehende, aber nur stellenweise verstörende Klangwelt, die ebenfalls zu einer langen Weltraumreise ohne Aliens oder andere Katastrophen gepasst hätte.
Neue Soundtracks zu alten, gar antiken Stummfilmen sind eine spannende Angelegenheit, für Musiker wie für Zuhörer. Denn: Wie ändert sich die Wahrnehmung der Bilder durch die neue musikalische Untermalung? Während das Album alleine nicht zum wiederholten Anhören anregt, im Gegensatz zu Tindersticks traditionelle Veröffentlichungen, funktioniert sie in Kombination mit den Bildern durchaus. So gut, dass sie nicht nur im Kino zu sehen sind, sondern auch live, unter anderem in der Hamburger Elbphilharmonie im August 2017.
Aus didaktischen Kurzfilmen, in denen in späteren Jahren ein Sprecher die Bilder kommentierte, haben Staples und Begleitung ein fast schon abstraktes Werk geschaffen, das keinen erzieherischen Zweck mehr hat, dafür aber an einen kaum noch bekannten, genialen Fotografen erinnert.
1 Kommentar
Stuart F. Staples trifft F. Percy Smith auf dem Landsitz North Cothelstone Hall von Lord und Lady Hesketh-Fortescue in Nether Addlethorpe.