laut.de-Kritik
Vom Underground-Buzz zum Hit-Single-Lieferanten.
Review von Fabian MerloNicht weniger als vier Singles seines Debüts "Disc-Overy" brachte der 21-jährige Londoner Tinie Tempah in seiner Heimat in den Top 10. Schließlich enterte auch das Album die Spitzenposition. Nun sind die Briten ja berühmt berüchtigt dafür, nicht nur neue Trends zu erschaffen, sondern diese auch innert kürzester Zeit hochzujubeln. Doch wenn ein junger Künstler nach einem Underground-Buzz direkt zum Hit-Single-Lieferanten wird, die Covers der Magazine ziert und die großen Bühnen zu rockt, muss irgendwas dran sein.
Um sich vom Talent des Briten zu überzeugen, reicht schon das Intro, auf dem er mit hungrigem Flow über wilde Drums und Synthies reitet. Klar wird hier auch bereits, dass ihm der Erfolg ein mächtiges Selbstvertrauen verschaffte: "I picked rap instead of a backelors now I’m the most eligible". Seine an Größenwahn grenzende Selbstsicherheit wird aber überstrapaziert und geht schon nach einigen Songs auf die Nerven. Dass ihn jeder gerne auf seiner Single hätte und er sechs oder sieben Labelanfragen ablehnte, mag ja sogar stimmen, doch eigentlich hätten wir lieber den Beweis dafür, wieso dem so ist.
"Pass Out", das ihm zum Durchbruch verhalf, fasst Tinie Tempahs Themenspektrum bereits bestens zusammen: Fame, das Feiern seines wilden Lifestyles, Girls, Money und nochmals Fame. Bis auch mal so etwas wie Zweifel an seinem schnellen Aufstieg aufkommen, muss man sich bis zum letzten Song "Let Go" gedulden.
Die fehlenden Inhalte und zumindest diskussionswürdigen Wortspiele ("Cos I got more fucking hits than a disciplined child, "Surrounded by some bunnies and it ain"t fucking Easter", "The big boss make em jump like Kriss Kross") könnte man als Schulbubenhumor durchwinken. Schade ist hingegen, dass Tinie seinen Flow auf den meisten Songs an die Leine nimmt und auf radiotaugliche Simplizität herunterfährt.
Womit wir auch schon beim Hauptproblem der Platte angelangt wären: "Pass Out" ging als energetische Mischung aus Hip Hop, House und Ohrwurm-Refrain durch. Anstatt aber nur mit einigen Singles auf die breite Masse abzuzielen, hat Tinie das gesamte Album ohne jeglichen Mut zur Innovation völlig auf Breitenwirkung ausgerichtet.
"Written in the Stars" vereint Synthie-Bombast mit hymnenhaftem Refrain, so dass man beinahe sicher ist, Rick Ross könne jederzeit noch auf einen 16er vorbeischauen. "Simply Unstoppable", "Frisky" und "Wonderman" greifen die Formel von "Pass Out" auf und zielen dank elektronischen Beats direkt auf den Dancefloor und mit eingängigen Hooks gleichzeitig auf die Radios. Bei "Wonderman" funktioniert dies dank einem frischen Instrumental noch am besten. "Miami To Ibizia" mit der Swedish House Mafia macht keinen Hehl daraus, einzig die Partyinseln und Grossraumdiscos im Visier zu haben.
Eingängige Synthies und einen schmachtenden Hook gibt es auf "Just A Little", das dem altbackenen Thema Trennung natürlich keine neue Facetten abgewinnt. Immerhin flowt Tinie ansprechend. Ebenfalls die weibliche Käuferschicht im Visier hat "Invincible" mit Kelly Rowland, die sich auf einer Mischung aus Radio-R'n'B und House-Elementen bekanntlich nicht unwohl fühlt. Der Song bleibt dann auch schnell im Ohr hängen, die "you and me against the world"-Thematik macht ihn aber auch nicht spannender.
Den Erfolg von Tinie Tempah aber nur auf seine berechnende Mainstreamtauglichkeit zurückzuführen, wäre jedoch ungerecht. Handwerklich kann man den Produzenten nichts vorwerfen, alles ist absolut professionell produziert. Ein Ohr für funktionierende Hooks und klebenbleibende Melodien kann man den Protagonisten ebenfalls nicht streitig machen.
Wer seine Zeit sowieso am liebsten in Clubs verbringt, in denen die DJs eine flotte Mischung aus R'n'B und House auflegen, wird mit "Disc-Overy" sicherlich glücklich. Beobachtet man, dass sich halb Rap-Amerika an elektronischer Musik aus good old Europa bedient, kommt man nicht um die Feststellung herum, dass Tinie sich nahe am Zeitgeist bewegt. Als Musikkonsument mit etwas höheren Ansprüchen wird man jedoch vor allem Ecken und Kanten vermissen und dem vergeudeten Potential nachtrauern.
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