laut.de-Kritik
Minimalistischer Folk: monoton, entrückt, berührend.
Review von Martin LeuteWer auf singende Frauen steht, die dem Folk und der Melancholie zugetan sind, kommt derzeit auf hohem Niveau auf seine Kosten. Neben Emily Haines, Dawn Landes oder Julie Doiron ist auch Meg Baird von der Band Espers mit einer Solo-Veröffentlichung am Start.
Nun gesellt sich Jesy Fortino, die musikalisch als Tiny Vipers in Erscheinung tritt, mit ihrem Werk "Hands Across The Void" dazu. Mit dem Bekenntnis zur Bedächtigkeit präsentiert sie minimalistischen Folk, vorgetragen mit der akustischen Gitarre und einer bezaubernden, zwischen Zerbrechlichkeit und Expressivität pendelnden Gesangsstimme.
Zwei Akkorde oder sechs langsam gezupfte Saiten benötigt Jesy Fortino, um dem Opener "Campfire Resemblance" Struktur zu verleihen; wiederholend, einprägsam und intim. Eindringlich breitet sich auf dieser zerbrechlichen Struktur der bezaubernde Gesang aus, wobei die Monotonie des Melodiebogens sich prima in dieses entrückte Ambiente fügt. Einzig die gedoppelte Stimme und der ebenso unaufdringliche, ätherische Ah Ah-Refrain verleihen dem Song dramaturgische Qualität. Umso erstaunlicher, dass dieses minimalistische Prinzip aufgeht und das Lied sich zärtlich im Hörgang festsetzt.
In "On This Side" schlägt Fortino die akustische Gitarre, wieder einem schlichten Schema folgend, weiches Fingerpicking gesellt sich dazu. Gesanglich erinnert die Dame hier an Cerys Matthews und die frühen Solo-Aufnahmen der Ex-Throwing Muses-Frontfrau Kristin Hersh. Es zeugt von Unmittelbarkeit, wenn im sehr ruhigen "Aron" die Griffwechsel zu hören sind. Melancholisch und meist auf einer Tonhöhe verharrend, zieht sie den Hörer in ihren Bann. Das Konzept der Eintönigkeit findet mit "Forest On Fire" seinen Fortgang, nur dass sich nun eine schmerzhafte Noise-Fläche in das Stück webt und es kakophonisch ausklingen lässt.
Erstmals zeichnet sich Verstörung ab, die auch die ersten Cat Power-Alben durchzieht. "Shipwreck" leuchtet dafür mit toller Melodie, tiefen Synthesizer-Klängen, variantenreichem Gesang und zweistimmigem Refrain umso heller. Dennoch, von Fröhlichkeit kann auch hier nicht die Rede sein. Das folgende großartige "Swastikas" ist dreiteilig gegliedert, was daher die Länge von elf Minuten rechtfertigt. "If I would Let you into my heart/ would you thank the Lord/ would you tear it apart?" singt sie traurig und nachdenklich zur gezupften Akustischen, ehe sie die Gitarre nur noch eiskalt anschlägt und mit beängstigend düsterem Organ die weniger schöne Antwort auf die Was-wenn-Frage durchspielt.
Die Höhen und Tiefen des Lebens, die Sehnsüchte und Ängste spiegeln sich musikalisch umgesetzt wider. Plötzlich findet ein sonniger Gitarrenlauf seinen Weg aus dem Dunkel, die Stimme hebt an, wird teilweise gedoppelt und deutet vage Optimismus an. Auch wenn am Ende die Einsamkeit obsiegt, der Song artikuliert die Veränderungen, die das Leben mit sich bringt. Der letzte, achtminütige Track "The Downward" eröffnet mit der abgehackt geschlagenen Gitarre, deren eigenwilliges Spiel den emotionalen Gesang prima ergänzt. Das lange Intro klingt nach Sophia in ihrer "The Infinite Circle"-Phase. Die Stimme Jesy Fortinos erweist sich immer wieder als ihre große Stärke, vor allem, wenn sie sich - wie in diesem Stück - spielerisch erhebt und gekonnt wieder abfällt.
"Hands Across The Void" ist das berührende Album einer Künstlerin, die ihre Songs entkleidet und ihnen mit dieser Reduktion die einnehmende Essenz abringt. Die monotonen Strukturen und die Vermeidung von Lebhaftigkeit entwickeln hier und da eine bedrückende Stimmung, verlieren sich aber nie in der Hoffnungslosigkeit. Gerne wird Jesy Fortino mit Joanna Newsom verglichen, der Unterschied dürfte aber der bleiben, dass die Harfe spielende Kollegin mit ihren theatralischen und aufwändigen Arrangements inzwischen große Säle füllt, was Tiny Vipers wohl versagt bleibt.
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