laut.de-Kritik
Klassischer Liedzyklus im Stil der "Winterreise".
Review von Kai ButterweckVor mehr als vier Jahrzehnten bildeten die Finger von Tori Amos und das klassische Klavier zum ersten Mal einen einzigartigen Verbund. Auf ihrem mittlerweile zwölften Longplayer "Night Of Hunters" kehrt die Songwriter-Queen erstmals in ihrer Karriere den Riten der Pop-Welt den Rücken zu und präsentiert einen klassischen Liedzyklus im Stile von Franz Schuberts "Winterreise" im Einklang mit einer modernen Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts.
"Wenn die Mutter aller Labels an die Tür klopft, kannst du nicht ablehnen", so die mehrfach Grammy-Nominierte, nachdem die Deutsche Grammophon um die Umsetzung dieses Projektes bat. Nach der Veröffentlichung ihres letzten Albums "Midwinter Graces", einem reinen Weihnachtsalbum, erwarteten nicht wenige ihrer Anhänger einen konventionellen Nachfolger. Doch Tori Amos wäre nicht Tori Amos, wenn sie sich selbst und andere nicht immer wieder aufs Neue überraschte.
Und so bittet die zierliche Sängerin zur instrumental zwar minimalistischen, aber emotional um so opulenteren Reise in das aufgerüttelte Seelenleben einer Frau, die zwischen Abenddämmerung und Tagesanbruch alle Höhen und Tiefen der Liebe und des Verliebt Seins durchlebt. Musikalisch beschränkt sich Amos dabei auf die Kraft und Leidenschaft der Akustik. Gesang und Klavier stehen dabei deutlich im Vordergrund und werden akzentuiert von Oboen, Streichern und Flöten unterstützt. "Shattering Sea" bildet den zunächst verstörenden Opener mit harten Piano-Linien und scharfen Streicher-Einsätzen, ehe in der Mitte des Songs auf die Bremse getreten wird und die aufgewühlte See zur Ruhe kommt, um sich zum Ende dann nochmals kräftig aufzubäumen.
Dass gesangliches Talent vererbbar ist, beweist das mystisch dahinschmelzende "Snowblind". Toris elfjährige Tochter Tash präsentiert sich hier als fast schon ebenbürtige Stimmbegleitung ihrer Mutter. Höhepunkt der Mutter-Tochter-Kollaboration bildet das eingängige "Job's Coffin", das in seiner Gesamtstruktur noch am ehesten an populäres Songwriting erinnert, gefolgt vom nicht minder harmonischen "Nautical Twilight", das im Mittelteil mit einer akustischen Solo-Interpretation aufwartet, die Gänsehaut garantiert.
Doch Tori Amos ging es nicht um homogene Einzelbestandteile, sondern um ein komplexes Ganzes. Das Ziel von "Night Of Hunters" war nicht möglichst viel Airplay, sondern ein musikalisches Gesamtkunstwerk. Spätestens wenn sich im Titeltrack die Stimmen von Tori Amos und ihrer Nichte Kelsey Dobyns vibrierend duellieren, die Grand Dame der Epik im darauffolgenden "Seven Sisters" ihre unvergleichliche Leichtigkeit, mit der sie über die Tasten gleitet, unter Beweis stellt, um im abschließenden "Carry" ihr einzigartiges Gespür für balladeske Töne zu offenbaren, verfällt man der Schönheit einer Klangwelt voller Anmut und Intensität.
Tori Amos sprach von leichter Panik, als es darum ging, wie sich denn fühlte, als man ihr die Umsetzung eines klassischen Liedzyklus-Konzepts anbot. Sie sprach von einer schweren Bürde und zweifelte daran, ob sie den Anforderungen gerecht werden würde. Doch detailverliebt und fokussiert wie eh und je erweist sich die Ausnahme-Künstlerin auch diesmal wieder als Meisterin der musikalischen Metamorphose und hinterlässt abermals offene Münder.
9 Kommentare
na endlich , wurde ja auch mal zeit.
ihr cover werden immer schlimmer. hoffentlich ist die musik besser.
Was ist da eigentlich passiert? Lifting, Botox!?
Da fällt mir ein, ich wollte doch eigentlich immer mal "American Doll Posse" kaufen. Wie die Zeit vergeht...
Es geht immer um den Inhalt, obwohl mich das Cover massivst abschreckt.
Muß ich wohl als mp3-Album laden.
tolles album, tolle frau.
Irre ich mich oder hat sich ihre Gesichtsform von rund zu eckig verformt? Das ist nicht nur eine starke Leistung, sondern auch echt beängstigend.
Musikalisch sind die einzig wirklich schönen Momente die, wo ihre Tochter und dieses andere Gör singen. Erinnert mich jedes Mal wieder an CocoRosie.
Ansonsten wird sie mit dem Konzept nicht viele Fliegen fangen. Relativ unkreativ und aufgewärt. Leider ertappe ich mich immer wieder dabei, dass ich ihre neue Musik auch noch gut finde, weil es eben Tori ist.
Nicht dass sie nicht gut ist, aber mal ehrlich ...
PS: Ich mag die Flöten.