laut.de-Kritik
Folk zwischen Mythen, Emotionen und Verzweiflung.
Review von David Maurer"Living on the road, my friend / Was gonna keep you free and clean / Now you wear your skin like iron / And your breath's as hard as kerosene" - die ersten Zeilen von "Pancho & Lefty" gehören wohl nicht nur zu den bekanntesten der amerikanischen Folk-Musik, sondern befördern das unvergessene Duo Willie Nelson und Merle Haggard 1983 an die Spitze der amerikanischen Country-Charts. Nur zwei Jahre zuvor hatte "If I Needed You" der wunderbaren Emmylou Harris einen ähnlichen Hit beschert.
Erfolge, die dem Schreiber zwei der meistgecoverten Songs des Genres verwehrt blieben. Zwar ist Townes Van Zandt keinesfalls der einzige Künstler, dem erst fremde Interpretationen seiner eigenen Stücke zu stärkerer Bekanntheit verhalfen. Für die viel zu kurze Karriere des Texaners stand dieses Phänomen jedoch besonders stellvertretend: große Anerkennung von wenigen, mangelnde Beachtung von der Masse.
Wie so oft änderte sich das erst nach seinem Tod im Jahr 1997, als sein Körper nach gerade einmal 52 Jahren den Kampf aufgab gegen jahrelange Abhängigkeit von Alkohol, Drogen und Medikamenten, gegen schwere Krankheiten und psychische Störungen.
Was bleibt, ist eine einzigartige Diskografie, aus der es sicherlich nicht nur "The Late Great Townes Van Zandt" verdient gehabt hätte, gesondert erwähnt zu werden. Allein "Pancho & Lefty" darf aber als Begründung dienen, seine zweite Platte aus dem Jahr 1972 für seine beste, zumindest aber seine wichtigste, zu halten.
Denn zweifelsohne gehört der Song zu den größten Folk/Country-Tracks aller Zeiten. Mit jener Melancholie, die schon Stücke wie "Waitin' Round To Die" vom Debüt "For The Sake Of The Song" oder das düstere "St. John The Gambler" auf "Our Mother The Mountain" auszeichnete, fasst Van Zandt hier die Geschichte der beiden Banditen Pancho und Lefty in wunderschöne Zeilen.
"Pancho needs your prayers, it's true / But save a few for Lefty, too / He just did what he had to do / And now he's growing old."
Getragen von Verrat, Einsamkeit und Tod, liefert die Outlaw-Story auch heute noch Stoff für unterschiedlichste Interpretationen. Sogar Van Zandt selbst soll gegenüber Willie Nelson, der den Song nach der Umsetzung von Emmylou Harris aus dem Jahr 1977 endgültig zum Hit machte, zugegeben haben, er wisse selbst nicht genau, wie der Inhalt zu deuten sei.
Ähnliche Mythen ranken sich um "Silver Ships Of Andilar", die wohl untypischste Nummer seiner Karriere. Der orchestrale Background setzt die epische Sage pompös und mitreißend in Szene, während Van Zandt geheimnisvolle Zeilen von Betrug, Krieg und Verlust in eine fünf Minuten lange Hymne wandelt.
Diese Wucht erreicht "Snow Don't Fall" zwar nicht, will es aber auch gar nicht. Wenn sich zu der verhalten gezupften Gitarre langsam Streicher gesellen und sich immer mehr erheben, ist das dennoch nicht weniger ergreifend als in "Ships Of Andilar".
Im krassen Gegensatz dazu steht "Honky Tonkin'", klassischer Hillbilly-Country von Van Zandts großem Idol Hank Williams, in dem er sogar die markanten grellen Töne seines Vorbildes perfekt nachahmt. Die Cover-Songs, zu denen neben "Honky Tonkin'" auch das herrlich sarkastische "Don't Let The Sunshine Fool Ya" sowie das Nachkriegs-Liebesständchen "Fraulein" gehören, zeichnen die deutlich hellere Seite von "The Late Great Townes Van Zandt" und bilden damit einen deutlichen Kontrast.
Zwischen Cover-Versionen und neu aufgenommenen Stücken findet sich mit "Sad Cinderella" zudem noch ein Lied vom 1968er-Debüt "For The Sake Of The Song", allerdings in komplett überarbeiteter Form. Die leicht weihnachtlich angehauchte Überproduktion der Ur-Fassung weicht hier glücklicherweise einer wesentlich dezenteren Piano-Ballade, die "The Late Great Townes Van Zandt" eine weitere Facette hinzufügt.
Davon offenbart die Platte besonders nach mehreren Durchgängen einige, was natürlich nicht zuletzt an der Zusammensetzung der Stücke liegt. Zwischen dem leicht optimistischen Country-Opener "No Lonesome Tune" und "If I Needed You" sicherlich eines der schönsten Liebeslieder überhaupt, zeigt das Album den Künstler in all seinen Gemütslagen, mal lediglich von Gitarre und Mandoline, mal von einem kleinen Orchester begleitet.
Das Werk ist in seiner Stimmung manchmal so schwankend wie Van Zandts Leben an sich, das er 1971 treffend beschrieb: "To live is to fly / Low and high" Doch trotz kleiner, fröhlicher Highlights wie "Honky Tonkin'" durchzieht auch sein sechstes Studioalbum die charakteristische, stellenweise fast erdrückende Schwermütigkeit, die besonders "If I Needed You" wie einen Hilferuf erscheinen lässt: "If I needed you would you come to me / Would you come to me, and ease my pain?"
Aber wer immer ihm in schwierigen Zeiten auch zur Seite stand, helfen konnte ihm niemand. Die Depressionen, die ihn zum Alkohol und den Drogen führten, entpuppten sich immer mehr als Hindernis auf seinem Weg, der eigentlich nach oben hätte führen sollen, sich stattdessen aber zur Abwärtsspirale entwickelte. "Heavenly Houseboat Blues" markiert deshalb nicht nur den perfekten Schlusspunkt, sondern steht quasi sinnbildlich für das Leben des Townes Van Zandt: Mit einem Hausboot gen Himmel fahren zu wollen, nur um letztendlich unterzugehen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare
Townes! ...wie schön...schnüff...
Hab' mich mittlerweile ja schon ein bisschen ins Van Zandt-Schaffen reingesetzt, aber ausgerechnet das Album, das hier zum Meilenstein auserkoren wird, war natürlich noch nicht dabei ...
Daher danke für den schönen Text, werd' mir das jetzt unbedingt als nächstes anhören.
Hah, der Maurer! Ist auch bigger than Hip Hop
Hatte mir vor ein paar Jahren mal die Doku zu Van Zandt angeschaut und muss sagen, dass mich die Musik und die ganze Person nicht so angefixt hat. Jetzt aber bin ich entzückt, danke dafür laut.de!