laut.de-Kritik
50 Synonyme für grau - der Norden in Moll.
Review von Steffen EggertWenn es eine Band gibt, die man bereits nach wenigen Takten im nordischen Raum unserer Republik verortet, dann ist das zweifelsfrei Turbostaat. Seit 25 Jahren und mittlerweile neun Studioalben schlägt einem mit jedem Tag die steife Küstenbrise ins Gesicht und Bilder pittoresker Landschaften formen sich vor dem geistigen Auge. Die Mitglieder der einstigen Provinzband aus dem urigen Husum hat es längst vom Land in unterschiedliche Großstädte der Republik verschlagen. Mit "Alter Zorn" wird dieser Umstand zum ersten Mal inhaltlich deutlich.
Ähnlich wie bei anderen Bands aus der entsprechenden Umgebung, allem voran alles, was der gute Jens Rachut je aus der Traufe gehoben hat, regiert hier vor allem die Lautmalerei. Vieles klingt nach grauen Mauern, nach Einsamkeit, Anonymität und einer nicht besonders positiv zu belegenden Dystopie, wobei die Besonderheit darin liegt, das nichts davon direkt ausgesprochen wird. Welch kunstvolle Kür, aus Klängen und scheinbar zufällig zusammen gesetzten Worten Bilder entstehen zu lassen!
Der unbändige Zorn des vorigen Albums "Uthlande" (2020) scheint zum Teil verebbt zu sein, die auf vorigen Alben angeklungenen Experimente in den Post-Rock werden nicht mehr intensiv weiterverfolgt. Alle Trademarks, die seit "Flamingo" (2001) das gewisse Alleinstellungsmerkmal der Band im hiesigen Bandkosmos zementieren, strahlen wie frisch geputzte Leuchturmbirnen.
Die schrammelnden Gitarren, der dezente, aber immer stets eigenständig wandernde Bass, die wandlungsfähige Rhythmik und der anklagende, oft unbequeme Gesang stehen von der ersten Sekunde an überall im Raum. Bei "Subraum" etwa erzeugt der Vierseiter deutlich mehr Druck als beide Gitarren zusammen. Einige der Stücke spielen mit naheliegenden Post-Punk-Reminiszenzen, wie der Opener "Affenstrasse" oder das zu Zeiten auch in Düsterdiskos passende "Den Annern Sin Uhl". Knarzige, stoisch wandernde Bassläufe, ein abstraktes, durch Zwischentöne verzerrtes Klangbild und vor allem nicht sofort eingängige Melodien sorgen ungebrochen für Spannung.
An manchen Ecken werden sogar Erinnerungen an die großen Ton Steine Scherben wach. Das beißend zynische Titelstück, bei dem Schüsse an den Stellen ertönen, an denen eigentlich Handclaps stehen sollten. Skandierende Worte, "Alte Liebe, altes Leben, alter Zorn". Könnte vieles heißen, aber jede*r darf sich einen eigenen Reim darauf machen. Eine Atmosphäre, die auch beim hitverdächtigen "Scheissauge" klar zum Tragen kommt. Der Schräge Chor im Hintergrund, diese unscheinbaren und doch so schillernden Melodien, zudem eine Art geordnetes Chaos mit chedenkereskem Schwung, verstehen sich als besondere Facetten.
Einen Stimmungsaufschwung erfährt der Alte Zorn mit dem leicht balladesken "Isolationen", trotz des gruseligen Gemurmels im Hintergrund und dem vermittelten Gefühlt von Einsamkeit, vor allem aber durch "Winograd". Zum ersten Mal erklingen Dur-Akkorde und ein Hauch von Hoffnung mäandert durch die Luft, ebenso wie verhaltene Chöre. Eine Deutung als Liebeslied könnte durchaus in Betracht kommen, aber wer weiß das schon so genau.
Bevor mit der lyrischen und musikalischen Trauerbewältigung "Jedermannsend", dem gewissermaßen aufregendsten und schönsten Song auf "Alter Zorn" das Album schließt, sollte das melancholische "33 Tage" nicht unerwähnt bleiben. Ungewohnt eingängig und doch vertrackt, sanft und doch schroff fühlt es sich an und macht gekonnt die Vielseitigkeit von Turbostaat deutlich.
"Alter Zorn" ist ein wichtiges, besonderes und dank Covermodell Moses Schneider wunderbar produziertes Album und stellt damit glücklicherweise keine Ausnahme in der Banddiskografie dar.
4 Kommentare mit einer Antwort
Ich habe nur ein einziges Problem mit dem Album: Man weiß bereits vor dem Hören sehr genau, wie es klingt. Die Entwicklung und die Unterschiede bestehen in Nuancen. Das muss nichts schlechtes sein, aber beim ersten Anhören ist so gut wie nichts hängen geblieben - Es klingt alles so, wie Turbostaat eben klingt. Das ist gut, wenn man Turbostaat mag.
Alter Zorn ist das insgesamt 8. Studio-Album.
"Nachtbrot" ist ein Live-Album.
Ich finde, Turbostaat sind weiterhin in diesem Bereich die beste deutsche Band, doch in ihrer makellosen Diskographie fällt dieses ein wenig ab. Grundsätzlich bin ich bei Funky_Bob alle Trademark-Komponenten sind enthalten, aber es bleibt weniger in Erinnerung als sonst. Das liegt jedoch weniger daran, dass das Album so erwartbar ist, sondern daran, dass die sonst immer vorhandenen großen Melodien fehlen. Ich denke da an wundervolle Refrains wie den von "Brockengeist" auf dem letzten Album.
Geht mir ähnlich. Auf jeden Fall ein gutes Album, aber im Vergleich zu Großtaten wie Abalonia oder Vormann Leiss bleibt es ein wenig zurück.
Muss es aber vielleicht auch noch ein paar Mal durchhören.
Ich muss sagen, für mich ist das Album grandios geworden. Ich bin großer Fan des störrischen "Island Manövers" und hier habe ich ähnliche Vibes - Das polternde Nachtschimmel, das düstere Post-Punk Ding Isolationen und der ebenfalls kantig klingende Titeltrack wirken deutlich frischer als Uthlande insgesamt. Der immer noch gute Schwachpunkt der Turbostaat Diskographie ist für mich "Stadt der Angst", das mir zu poppig war. Ansonsten ist das Ding für mich mindestens 4/5.