laut.de-Kritik
Wenn die Gebirgsmarine zum Zapfenstreich bittet.
Review von Yan VogelOberstleutnant Scheibling hat einen der schönsten Jobs bei der Bundeswehr. Er befehligt das Musikkorps und sorgt für gute Laune. Gemeinsam mit Mr. Reibeisen-Stimme und Ex-Accept Tarnanzugbomber Udo Dirkschneider hebt Scheibling nun ein Projekt aus der Taufe, das in dieser Machart ziemlich einzigartig ist: Eine Metalband und die Mucker von der Bundeswehr. Wer macht denn sowas?
Während die Fusion von Metal und Klassik längst salonfähig ist, stellt die Mischung auf "We Are One" im Westen was Neues dar. So eng beide Kapellen mit großen Gesten verbunden sind, so divers sind die Rocksparten, die Band und Orchester bedienen. Hier tönt nicht Ufta mit Gebrüll. Der einer Legende nach bereits im Camouflage-Strampler auf die Welt gekommene Dirkschneider gehört zu den zuverlässigsten Stahlarbeitern in Deutschland ("Steelfactory", "Steelhammer").
Die Orchester-Arrangements pendeln zwischen eigenständigem Klangkorpus ("Pandemonium") und Metal-Akzidens ("We Are One"). "Rebel Town" verbindet beide Welten und würde zukünftig mit seinen fetten Chören auf jeder Festivalbühne eine gute Figur machen.
Udo und Rekruten veranstalten jedenfalls einen ziemlichen Rummel. Blasorchester und die Percussion-Batterie sorgen für Pomp und Pathos beim Midtempo-Banger "Love And Sin". "Children Of The World" schunkelt als Seemann-Schmonzette über die Ziellinie, und mit der Ballade "Blindfold" bittet die Gebirgsmarine zum Zapfenstreich.
"Neon Diamond" klingt - nomen est omen - ziemlich nach Achtziger-AOR inklusive Saxofon. Sitzt, passt und wackelt mit dem Hintern. Das bluesige "Here We Go Again" erinnert in seiner angefunkten Art tatsächlich an Extreme und bietet eine Rap-Slapstick-Einlage. "We Strike Back" hat dagegen Speed wie ein Leopard.
Neben den regulären Tracks mit Gesang flechten Scheibling und das metallische Quintett viele Instrumentals wie "Blackout" oder "Beyond Gravity" ein, die Soundtrack-Qualitäten haben. Letzteres Stück ist ungelogen die beste Nummer mit Dudelsack, die mir je zu Gehör gekommen ist. "Natural Forces" in seiner Mischung aus Michael Flatley, Hans Zimmer und Andreas Gabalier trifft aber nicht jeden Geschmack.
"We are one, we are free and we need a place to be". Wir holen uns die Ressourcen, die wir benötigen, um unser überhitztes Treiben im Westen weiter anzufeuern. Dies kann man dem Werbetext entgegnen, der die Bundeswehr als Speerspitze im Kampf gegen den Klimawandel hochstilisiert.
Bisweilen ist die Kollaboration ein Krampf. In Sachen Sound und Arrangement passt die Choose jedoch wie Arsch auf Pickelhaube und mündet nicht in einen geistigen Unterbietungswettkampf. Mut und Machart zollen Respekt vor der Leistung der Protagonisten, auch wenn der Blitzkrieg-Rock ein Geschmäckle hat. Der Closer "Beyond Good And Evil" fasst die Ambivalenz im Titel perfekt zusammen.
1 Kommentar
Und ich dachte immer, die Tarnhose bei Balls to the Wall wäre Ausdruck einer antimilitanten Weltanschauung gewesen. Also Frontalprotest oder so. Schade. Aber 5 Sterne in der Leserwertung können nicht irren.