laut.de-Kritik
Soundtrack für die Auszeit in einer bedächtigeren Welt.
Review von Philipp KauseAuf Bandcamp lagert noch ein alter Live-Mitschnitt der texanischen Band Uncle Lucius, der zeigt, wie erdig und bluesig die Gruppe vor 14 Jahren ihr Revier absteckte. Auch, wie sie sich krautig-psychedelisch in endlos verspulten Schleifen verwirklichte und in den Strudel einer zehn Minuten langen Improvisation mit riss. Hört man sich heute herausstechende Abschnitte an, zum Beispiel die Schlusstakte von "Civilized Anxiety", dann hat sich die Gruppe ihre Avantgarde-Kompetenz bewahrt. In erster Linie entfaltet die Combo auf ihrem ersten hierzulande erhältlichen Album in 22 Jahren die Kunst des kompakten Storytelling in lieblichen Lied-Strukturen. Zum Septett gewachsen, verwandelt die Indie-Band die harmonieseligen Song-Ideen in einen satten, wuchtigen Sound.
"Like It's The Last One Left" entstand in der Heimat von Uncle Lucius, die weder Onkel von Lucius sind noch so klingen. Wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass Lucius zurzeit viel mit Brandi Carlile arbeiten, und Brandi genau wie Uncle Lucius gerne alles ausprobiert, was grob gerade noch so unter Americana firmieren kann, während es zum Teil urban und nach Hochglanz-Produktion klingt. In eine entspannte Instrumental-Phase mit Jazzrock-Feeling und Booker T-Soulfullness im Southern-Kontext ergibt sich in "Holy Roller" und entwickelt sich ganz selbstverständlich aus dem druckvollen Spiel der hochkarätigen Musiker mit dem bissigen Sänger Kevin Galloway.
"All the Angelenos / They moving down to Texas (...) I'm from Texas and I'm telling you / I ain't never seen the likes of it / Texas, our Texas / All hail the mighty state", erzählt Frontmann Kevin über die Leute aus L.A., die angeblich in den Cowboy-Staat kommen wollen, die er dort aber noch nie gesichtet hat, während er als Texaner doch dort Ausschau hält. Wegen solcher patriotischer Zeilen und Themen nennt man 'Americana' eben auch so und fasst mehrere Genres unter das Sammelsurium, die irgendwas mit handgemachter Musik zu tun haben und eine Spur angestaubt klingen.
Obschon Uncle Lucius alles andere als innovativ drein spielen, muss man ihnen die Kraft attestieren, dass sie in ihrem Musikumfeld sicher für neue Maßstäbe setzen könnten, wären sie denn bekannter und zahlungskräftiger. Erspartes und die Ernte einer Crowdfunding-Kampagne flossen in die vorherigen Alben, von denen das erste und dritte praktisch nicht mehr erhältlich sind, das zweite auf selbst gebrannten CR-Roms und das vierte immerhin auf Vinyl, in einer kleinen Auflage für Europa. Doch erst jetzt, mit dem fünften Studio-Longplayer, setzt die Band in die professionelle Vermarktung über, wird auf regulären CDs und LPs in den deutschen Plattenhandel geliefert.
Das Neue des Liebhaberei-Projekts lässt sich zum einen an der Intensität der Songs festmachen, die einfach saugute Kompositionen sind und schnell ins Ohr gehen. So gehört etwa die dick auftragende Ballade "Tuscaloosa Rain" zu den Tracks, die Willen zum Pop mit Pathos und markanter Farbkraft ausstrahlen. Zum zweiten lassen sich die innovativen Impulse an der Versatilität festmachen, mit der die Gruppe aus Austin zwischen verschiedensten Härtegraden switcht und durch Rock-Spielarten unterschiedlicher Couleur kurvt.
Ein durchdringendes Orgel-Solo und sägende Blues-E-Gitarre in "Holy Roller" wechseln mit Countryrock ("Love In Kind"), stringentem Southern-Songwriting und Soul-Momenten ("Keep Singing Along"). Zwischen Herzschmerz-Ballade mit Cello ("Heart Over Mind") oder Harmonika ("I'm Happy", klingt aber traurig) und ZZ Top-Wummern lassen Uncle Lucius sogar ein bisschen Platz für Flowerpower-Geplänkel ("Draw The Line").
Schließlich musiziert das Ensemble dann auch noch fantastisch versiert. Die Bandmitglieder beteiligten sich alle an den starken Arrangements. Haupt-Ideengeber war Hal Jon Vorpahl, Bassist, der die Gruppe im Jahr 2002 gründete und ihr heute auf der Bühne nicht mehr angehört, sich aber um die ausgefeilte Produktion in perfektem Klang kümmerte. Er verfasste auch "Civilized Anxiety": "Ich schrieb den Song, nachdem ich eine (...) Erfahrung in einem überfüllten Lebensmittelladen sehr früh nach der Pandemie gemacht habe. Der Kampf um einen Parkplatz, um einen Einkaufswagen, um (...) ein paar Haferflocken ... das wurde alles viel zu viel (...). Ich ließ meinen Einkaufswagen in der Mitte des Ganges, ging nach Hause, um den Hund zu holen, und fuhr für ein paar Wochen ins Nirgendwo."
Sänger Kevin Galloway hievt das Problem noch eine Ebene höher: "Die Menschen bewegen sich wie Ameisen hin und her auf einer Infrastruktur, die niemals mit dem Tempo des Bevölkerungswachstums mithalten kann. Manchmal können die Kakophonie und der Verkehrskollaps überwältigend sein. Manchmal möchte man einfach alles stehen und liegen lassen und in die Ruhe der Natur fliehen." - Uncle Lucius liefern einen guten Soundtrack für die Auszeit in einer bedächtigeren Welt, in der man inne hält und eigene Gefühle intensiv wahrnimmt.
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