laut.de-Kritik

Macht den Hyperpop in Pop-Punk rein!

Review von

Es gab kaum je ein Genre, das so hoffnunglos nebulös ließ, wie die nächste große Platte klingen würde, wie der Hyperpop. Und es wird immer schlimmer: Was beim PC Music-Label erst von elektronischer Werbe-Satire zu (quasi) realer Popmusik hochmodelliert wurde, hat sich wie ein Virus in die Untergrund-Landschaft eingefressen. Drain Gang, Dylan Brady, HexD, Breakcore, Bubblegum Bass, K-Pop: Es ist so schlimm, dass die Frage ein Running Gag wurde, ob jedweder Song mit einem Synthesizer nun Hyperpop sei. Aber heute machen wir es uns leicht: Diese Platte hier ist. Mehr noch, sie ist der nächste Schritt des Genres.

"Fishmonger" von den Underscores wirkt auf den ersten Blick wie der Pop-Punk-Cousin von den 100 Gecs. Aber auch wie der logische nächste Schritt, nachdem ihr Signatur-Autotune-Quieken und MIDI-Dada zum Gen-Z-Lebensgefühl erhoben wurde. Die Underscores und 100 Gecs teilen den Ethos, sie teilen Ironie im Endstadium und Refrains, die kein Recht dazu haben, so catchy zu sein. Aber im Gegenzug zu "1000 Gecs" geht dieses Album den einen Schritt weiter. "Fishmonger" wird so ironisch, dass es am Ende in der Ernsthaftigkeit landet.

Das musikalische Kernelement bleibt Gitarrenmusik, nostalgisch für Avril Lavigne, nostalgisch für Hot Topic und nostalgisch für den ^^-Smiley. Songs wie "70%" oder "Kinko's Field Trip 2006" schallern Teenage-Angstiness mit Cartoon-Opener-Energie, Punk für die Teen Titans und eine Faust mit fünf bunten Armreifen in der Luft. Vor allem: Verdammt, kann diese Gruppe Refrains. Die schon etwas mehr nach Hyperpop klingenden Songs machen Melodien, die sich tagelang ins Hirn fressen: "Second Hand Embarrassment" oder "Bozo Bozo Bozo" könnte man, allen Inhalt beiseite gelegt, einfach für phänomenale Popsongs halten.

Aber es bleibt eben doch ein bisschen Inhalt zurück. "Fuck celebrities, I might as well just copy my friends" heißt es dann, oder: "Just admit it, you don't have a world that you're up against (anymore)", um den Finger in die Wunde aller Scene-Fantasien zu drücken. Vielleicht geht es um das Herauswachsen aus einer Kulturlandschaft, die daran geglaubt hat, kohärente und unvereinnahmte Kommentare auf die Welt und das Zeitgeschehen zu machen. "Fishmonger" wirkt in dieser Hinsicht wie eine Post-Scene, die all den an die Zeit verlorenen Inhalt des Szene-Gedankens rechtschaffend ausreißt und als zynischer Poser die leere Hülle als reine Ästhetik trägt.

So lastet irgendwann eine unkonkrete Schwere und Traurigkeit auf den objektiv recht kopflosen Songs. Irgendwann wird der zu schwer und die ganze Platte kriegt einen Knacks. Präzise findet der auf "Where Did You Fall" statt, einem Song, der mit typisch melodramatischen Akustik-Gitarren und wehleidgen Lyrics beginnt. Klassischster Pop-Punk-Aufbau, den man schon hundert Mal gehört hat, aber genau in dem Moment, in dem man erwartet, vom donnernden Mitgröl-Refrain erfasst zu werden, setzt stattdessen ein elektronischer Downtempo-Beat ein, eingängig, aber still. Ein geschickter und völlig unerwarteter Genre-Bruch, der die Songstruktur-Konvention perfekt ausspielt, um zu zeigen, dass wir den Konventionen eigentlich entwachsen sind. Bei den besten Hyperpop-Alben sieht man den nächsten Schritt nie kommen. Und dieser Beatwechsel ist ein Tiefschlag.

Aber der Knacks geht tiefer, auf "Dry Land 2001" findet er erst so richtig Katharsis. Auch dieser Song beginnt wohlbekannt, wie ein etwas stillerer und melancholischerer Electro-Pop-Song, aber statt aufzubauen, baut er immer mehr an Puls ab. Schließlich entern Gitarren das Soundbild, ein Beat bleibt aber aus, der Song franst in einem Outro zu einem Stück zwischen Dream Pop und Shoegaze aus, beeindruckend ätherisch und stimmungsvoll. Und in dem Moment, in dem man realisiert, dass die Nummer sieben Minuten dauert, merkt man erst, dass dieser Shoegaze-Moment nicht das Outro für einen Popsong darstellt, sondern dieser Popsong nur eine bockstarke Shoegaze-Nummer eröffnet hat. "Dry Land 2001" stellt Suhlen in formloser, abstrakter Melancholie dar, nach der sich all die großen Pop-Punk-Powerchords und Refrains gesehnt haben. Der depressive, seine Entscheidungen im Stillen hinterfragende Erwachsene als Pendant zum verängstigten und dramatischen Teen.

Vielleicht ist "Fishmonger" nicht das nächste große Album der Hyperpop-Szene, aber wenn nicht, wird es sich doch definitiv als ein unterschwelliges Kultalbum festsetzen. Es nimmt alle gerade bestehenden Ideen des Genres auf und setzt sie mit noch mehr Einfällen, noch mehr Einflüssen und einem einzigartigen emotionalen Gefühl völlig neu zusammen. Es wirkt wie ein Album, dass ein würdiger Nachfolger von "1000 Gecs" wäre - genauso eingängig, offensichtlich in Teilen stark inspiriert, aber doch am Ende essentiell weitergedacht. Denn die Underscores finden mit "Fishmonger" einen Weg vom tiefsten Boden des Zynismus. Nach aller Dekonstruktion und ironisch verkehrter Nostalgie kommt diese Platt wieder in der Ernsthaftigkeit an. Es fühlt sich an, als würde es damit Dinge explizit machen, die im Hyperpop sonst nur implizit bleiben.

Trackliste

  1. 1. 70%
  2. 2. Second Hand Embarrassment
  3. 3. Bozo Bozo Bozo
  4. 4. Kinko's Field Trip 2006
  5. 5. Where Did You Fall
  6. 6. Spoiled Little Brat
  7. 7. Your Favorite Sidekick (feat. 8485)
  8. 8. Dry Land 2001 (feat. Knapsack)
  9. 9. The Fish Song
  10. 10. Del Mar Country Fair 2008 (feat. Maxwell Young)

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1 Kommentar mit 3 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Immer nur dann erträglich, wenn es mal kurz wie öder 90er Rock klingt. Wechselt dann wieder fix zu Ohrenschmerz.

    • Vor 3 Jahren

      Ist Lärm überhaupt ein ernstzunehmendes Genre, wenn man nicht gerade Yannik oder ein retadierter Trottelteenie ist?

    • Vor 3 Jahren

      Absolut. Noch nie was Noise (Rock) gehört?

      Vorliegendes Zeug...meh. "Where did you fall" ist ein ganz annehmbarer Track, wenn ich die beschissenen männlichen Vox mal überhöre.
      Generell kann man sagen, die Tracks profitieren immens, wenn der Typ die Schnauze hält. Selbst gewollter Autotune kann den oberlangweiligen Vortrag nicht kaschieren. Instrumental ist schon Potenzial da.

    • Vor 3 Jahren

      Doch klar und früher Rap war ja auch übersteuerter Lärm, aber deswegen war er auch ähnlich unerträglich sie das hier, subjektiv natürlich. ;)