laut.de-Kritik
Ein hochkarätiger Vertreter intelligenter Tanzmusik.
Review von Alexander CordasDie Nachwende-Zeit bis 1995 war - speziell was elektronische Musik betrifft - eine aufregende Zeit. Diverse Künstler drängten mit Nachdruck in den Mainstream. In der gleichen Zeitspanne schwanden in der öffentlichen Wahrnehmung nach und nach die althergebrachten Vorurteile, künstlich erzeugte Musik würde sich auf stupides Bumm Bumm beschränken.
Karl Hyde und Rick Smith, die Köpfe hinter Underworld, haben beim Erscheinen von "Dubnobasswithmyheadman" bereits eine bewegte musikalische Vergangenheit vorzuweisen. Seit 1980 machen sie zusammen Musik, ihre musikalische Identitätssuche sollte jedoch noch eine ganze Weile andauern. Über New Wave und Synthiepop ging die Reise, ehe Ende der Achtziger dann die Techno-Welle über den Globus fegte und hörbar Spuren im klanglichen Universum von Hyde und Smith hinterließ.
Waren die ersten beiden Underworld-Scheiben "Underneath The Radar" und "Change The Weather" noch von unentschlossenem Synth-Pop-Rock geprägt, änderte sich das nun, und zwar ganz gewaltig. Eine tiefe Bassline und Hi Hat-Gezische leiten den Opener "Dark & Long" ein, ehe nach 16 Sekunden ein treibender Beat das Zepter übernimmt: "thunder thunder, lighning ahead. Kiss you kiss you dark and long".
Die Stimmung changiert zwischen urbaner Kälte, kuscheliger Club-Atmosphäre und manischem Psycho-Elementen, wenn Karl Hyde seine parolenhaften Zeilen in unnachahmlicher Weise sprechsingt: "Me I'm just a waitress she said, I went and bought a new head she said."
In diesem drängenden, aber gleichzeitig auch dezenten Beat offenbaren sich die Underworld der Zukunft. War ihr größter Hit bis dato, das komischerweise auf keinem Album vertretene "Rez", noch eher von Acid House infiziert, adaptieren sie nun eher softe Techno- und House-Beats und einen wärmeren Klang. Die hypnotische Stimmung des Anfangs zieht den Hörer sanft und bestimmt in das Album hinein.
Den neugewonnen musikalischen Input, der sich hier offenbart, stammt zu einem nicht unerheblichen Teil vom damaligen Jungspund Darren Emerson. Der ehemalige Hip Hop-DJ fönte die Hörgewohnheiten der alten Hasen gehörig durcheinander und machte sie so bereit für neue Ansätze.
Zusammen mit dem fast genau ein Jahr später erscheinenden "Leftism" von Leftfield steht "Dubnobasswithmyheadman" an der Spitze der intelligenten Tanzmusik von der Insel, die man heutzutage unter dem Oberbegriff Progressive House in eine Schublade packt.
Was das Album auch heute noch so faszinierend macht, ist die Vielseitigkeit der Sounds und Stimmungen. Von acid-getränkter Zwanghaftigkeit bis elegant relaxt reicht die Farb-Palette, die das Trio Hyde, Smith und Emerson auf der Pfanne hat. Das 13-minütige Opus Magnus "Mmm Skyscraper I Love You" sticht in dieser Hinsicht prominent hervor. Karl sieht abwechselnd Elvis und telefoniert mit Gott. So abgedreht diese lyrischen Szenarien anmuten, so unterschiedlich ist auch die Atmosphäre. Wenn nach über neun Minuten der Beat-Bomber zur Landung ansetzt und plötzlich dem großen Chillout Platz macht, könnte der Kontrast kaum größer sein. Dennoch entstehen keine Brüche, da die Sounds dezent ineinander übergehen und ein homogenes Werk entsteht.
Der runde Gesamteindruck könnte unter anderem auch daher rühren, dass bei Underworld vom Cover bis zu den Sounds alles aus einer Hand stammt. Für das Album-Artwork steht das hauseigene Design-Kollektiv Tomato Pate. In der im Oktober 2014 erscheinenden remasterten Neuauflage wurde die ursprüngliche Gestaltung übrigens noch einmal verfeinert.
Den Kracher schlechthin hauen die Herrschaften erst gegen Ende raus, wenn mit "Cowgirl" eine Art Fortsetzung von "Rez" um die Ecke trümmert und in achteinhalb Minuten für einen ordentlichen Abriss sorgt. Das skandierende "everything everything" sollte eigentlich jedem Partygänger ein Begriff sein. Das Kuhmädel springt hernach behände in den "River Of Bass" und lässt sich dort die müden Beine von mächtigem Tiefton massieren.
Das abschließende "M.E." schlägt dann die Brücke in die Synthiepop-Vergangenheit und beendet dieses Kapitel ein für allemal, ehe sich Underworld mit dem "Trainspotting"-Soundtrack und "Born Slippy" auch kommerziell in nie gekannte Sphären vorwagen. Auch wenn "Dubnobasswithmyheadman" noch nicht der Verkaufsschlager schlechthin war, so steckte das Album künstlerisch doch das Terrain für Kommendes ab. Und jetzt alle: "Shouting lager lager lager lager!"
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
6 Kommentare mit 4 Antworten
Ich hätte ja den Nachfolger "Second Toughest in the Infants" gewählt, aber freut mich dass Underworld einen Meilenstein bekommt. ^^
^Wohl wahr, Second Toughest ist ebenfalls ein Meilenstein der elektronischen Musik. Dubnobass ist durchgängig genial, aber gerade Dark & Long und vor allem Dirty Epic sind wahre Highlights für mich.
Ich habe vor ein paar Tagen zufällig genau dieses Album zum ersten Mal gehört und fand besonders Dark & Long richtig super. Bisher kommen die anderen Songs für mich da noch nicht ran, aber lohnt sich trotzdem ein reinhören in die Second Toughest?
Ja. Ich finde, es hat einen anderen Charakter. Ein paar Tracks sind noch mehr Dance-orientiert während auch ein paar wahre Downtempo Klassiker enthalten sind. Alles in allem wird das Album auch noch vor Dubnobass als ihr bestes angesehen. Hier ist das volle Album:
https://www.youtube.com/watch?v=s6pouE8Ymo…
Gerade mal bei Juanita reingehört, allein der Song will mich das Album bei der nächsten Gelegenheit kaufen lassen. Danke für den Tipp!
Kein Problem! Die CD müsste es ja mittlerweile reduziert geben.
Hatte ich gar nicht auf dem Schirm, dass die noch nicht gewürdigt wurden. Absolut verdient.
Underworld war auch eins der ersten Konzerte meines Lebens, als ich sie auf dem Sziget Festival in Budapest auf Empfehlung gesehen hab. Zu blöd, dass ich sie bis dahin noch nicht kannte.
Dubnobass ist auch mein persönlicher Favorit von Underworld. Es changiert geschickt mit Stimmungen und ich hatte damals nach dem Hören des Albums das unwiederstehliche Gefühl, daß hier was epochales passiert: Brain, Gefühl und Ekstase sind kein Widerspruch mehr.
Danke Underworld!
Höre es gerade zum 1. Mal seit Jahren. Hat nichts von seinem Charme verloren. Tolles Ding.
Hmmmm.... Wolkenkratzer, wir lieben dich. Hatte keine Ahnung, dass das das einflussreichste Werk der beiden seien sollte, aber als ich das zum ersten Mal hörte, wusste ich, dass das was edles sein musste.