laut.de-Kritik

Schade, Van. So schade.

Review von

"When you don't need to worry / There'll be days like this / When no one's in a hurry / There'll be days like this" singt Van Morrison 1995 in "Days Like This". Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits knapp 30 Jahre im Musik-Business und ich noch nicht mal ansatzweise in der Familienplanung meiner Eltern vorhanden. Eine Schnittmenge gibt es da eigentlich nicht – und doch entdecke ich viele Jahre später den Song für mich, als ein absolutes Meisterwerk, das Hoffnung schenkt, wenn sonst mal keine mehr da ist.

Heute denke ich wehmütig an eben "Tage wie diese" zurück, als ich Van Morrisons Musik noch mit Hoffnung verknüpfen konnte und mir von den Texten nicht unweigerlich die kalte Kotze hochgekommen ist. Tut mir leid, ich kann es nicht netter formulieren. Man kann es nur immer wieder betonen: es ist einfach schade, dass wir einen musikalisch so herausragenden Mann an die Fraktion der Corona-Schwurbler verloren haben.

Nachdem er in der Vergangenheit schon mehrmals unangenehm aufgefallen ist, schießt er auch auf der neuen Platte "What's It Gonna Take?" wieder gegen alles und jeden, wie ein kleines Kind, das Hausarrest bekommen hat. Alles dreht sich um den laut Morrison ungerechtfertigten Lockdown, die Corona-Maßnahmen, die furchtbar böse Politiker und noch viel böseren Massenmedien.

Er zweifelt Fakten und wissenschaftliche Beweise an ("Dangerous"), erzählt, wie die Menschen angeblich mit Lügen und Fake News gefüttert werden ("Fodder For The Masses"), trauert dem in seinen Augen gefallenen Recht auf freie Meinungsäußerung nach ("Not Seeking Approval") – ach ja und natürlich sind Zuckerberg und Gates an allem schuld ("Money From America"). Logisch, Van.

Dabei kommen Textzeilen zustande, bei denen man einfach nur noch den Kopf schütteln kann: "They just wanna enslave the population, that's all", "Took our rights before our eyes / Fear-mongering media hypnotized" oder "Experts run your life / Cause you more misery and strife", um mal ein paar Beispiele zu nennen. Weiter will ich auf die Lyrics aber gar nicht eingehen, jeder Satz, mit dem man seinen Hirngespinsten eine Plattform bietet, ist verschwendet. Vom Cover-Artwork fangen wir gar nicht erst an.

Dabei wäre doch noch so viel Hitpotenzial da gewesen. Auch nach knapp 55 Jahren präsentiert Morrison sich rein musikalisch fit wie ein Turnschuh. Die Stimme klingt bei weitem nicht nach der eines 76-Jährigen, auch die Produktionsarbeit, die Morrison selbst übernommen hat, wirkt mehr als solide.

Es stechen vor allem der groovige Auftakttrack "Dangerous", der fröhliche "I Ain't No Celebrity", der lässige "Money From America" und zum Runterkommen "Can't Go On This Way" heraus. Coole Gitarren, sanfte Drums, zwischendurch immer wieder wunderschöne Saxophon-Solos, alles irgendwo zwischen Blues, Soul und Country-Elementen. Insgesamt wiederholt sich bei 15 Tracks – teilweise über sieben Minuten lang – zwangsläufig der Sound. Trotzdem kann man die knapp 80 Minuten sehr gut durchhören.

Doppelt ärgerlich, dass man die musikalisch tollen Werke nicht mehr genießen kann, nachdem man auf den Inhalt geachtet hat. Aber es ist, wie es ist. In den letzten vier Songs fängt er sich sogar und singt über persönliche Themen, bedrückende Probleme, Depression. Man merkt ihm hier die Ehrlichkeit an, die Ehrlichkeit eines Mannes, der offensichtlich psychisch eine ordentliche Last mit sich trägt – nicht erst seit der Pandemie.

Man kann nur hoffen, dass er irgendwann wieder die Kurve kriegt und seinen Frieden findet. Mit dem, was er auf dieser Platte fabriziert hat, sehe ich da allerdings schwarz. Die Zeiten, in denen Van Morrison von den vereinzelten sorglosen Tagen oder von "Brown Eyed Girls" gesungen hat und Hoffnung gemacht hat, sind offenbar vorbei. So schade.

Trackliste

  1. 1. Dangerous
  2. 2. What's It Gonna Take?
  3. 3. Fighting Back Is The New Normal
  4. 4. Fodder For The Masses
  5. 5. Can't Go On This Way
  6. 6. Sometimes It's Just Blah Blah
  7. 7. Money From America
  8. 8. Not Seeking Approval
  9. 9. Damage And Recovery
  10. 10. Nervous Breakdown
  11. 11. Absolutely Positively The Most
  12. 12. I Ain't No Celebrity
  13. 13. Stage Name
  14. 14. Fear And Self-Loathing In Las Vegas
  15. 15. Pretending

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10 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Mich wundert, warum sich so viele Leute wundern! Ich verfolge ihn seit "Them", also seit 1964. Wer sich in dieser langen Zeit mit Van befasst hat, dürfte sich eigentlich nich über sein Geschwurbel wundern, denn ein Schwurbler war er schoon immer.Heute beim Kochen lief wieder die neueste Veröffentlichung und die Musik - die Texte kann ich gut ausblenden - trug wieder zu einem gelungenen Essen bei. It's the music, stupid! :-)

  • Vor einem Jahr

    Tragisch, dass eine freie Meinung gegen den Mainstream musikkritisch so bedeutsam sein soll. 1000000 Musiker oder Bands singen über Quatsch, Schwachsinn.... Und nun, nur weil Van über Corona und politische Maßnahmen singt singt, soll das Album schlecht sein. Ist es nicht, es ist wundervoll. Das da oben ist keine fundierte Albumkritik und gehört so überhaupt nicht auf diese Seite.

  • Vor 2 Monaten

    grad erst gelesen diese Rezension. Wer den Begriff "Corona-Schwurbler" verwendet, diskreditiert sich damit direkt selbst bzw. outet sich als vollkommen unkritischer Zeitgenosse, der während der Corona-Jahre Medien + Politik vorbehaltlos zugejubelt hat und der sich dann in seinem Jubel natürlich durch Kritik massiv gestört fühlt bzw. persönlich angegriffen fühlt, so wie halt von den Texten auf diesem Album. Interessant auch zu beobachten das kindisch-beleidigte Verhalten der ertablierten Medien NACH Corona. Wurde vor Corona jedes neue Album von Van Morrison wohlwollend besprochen, wird Van Morrison seit Corona konsequent von den großen Medien ignoriert, so als ob er abgestraft werden soll: "Du hast uns kritisiert, dann besprechen wir auch keins Deiner Alben mehr, ätschi bätschi". Den Respekt für die etablierten Medien zu behalten, fällt mir mit jedem Tag schwerer, muss ich sagen. Und hätte der Autor nicht diesen unfassbar dummen, falschen und hetzerischen Begriff "Corona-Schwurbler" verwendet, könnte ich dem Autor bei seiner Rezension sogar in Teilen zustimmen: politische Lyrics sind nicht Van Morrison's Stärke und sie bereiten mir als Hörer auch nicht unbedingt Freude. Ich vermisse auch Van Morrison's teilweise wunderbaren Lyrics der Vergangenheit, die im Zusammenklang mit seiner Musik, mich als Hörer auf ganz andere emotionale Ebene gehoben haben. Die Lyrics von diesem Album wecken ausschließlich negative, agressive Emotionen und passen tatsächlich rein gar nicht zu der beschwingten Musik (höchstens als bissig-ironischer Kontrast).