laut.de-Kritik
Dreckig. Rotzig. Gefühlvoll. Straight aus dem Untergrund.
Review von Anastasia HartleibDreckig. Rotzig. Gefühlvoll. Mit "Gloria & Schwefel" knüpft Vandalismus ziemlich genau da an, wo er mit "Freunde Lügen Nicht" aufgehört hat, und bringt dabei eine ordentliche Ladung Attitüde ins Spiel.
Das ist jedoch nicht das einzige, das sich - vor allem im Vergleich zu Produktionen unter dem früheren Degenhardt-Alter-Ego - geändert hat. Die Songs wurden kürzer, die Hooks hookiger, die Beats weicher und der Flow härter. Wer da jetzt Sell-Out vermutet: Weit gefehlt.
"Gloria & Schwefel" ist noch immer tiefster gelebter Untergrund und zelebriert auch genau das. Dass Vandalismus sich inzwischen stärker an Songstrukturen orientiert, bewirkt nur, dass die Kernaussagen der einzelnen Songs fokussierter sind und somit mit deutlich mehr Gewicht auf die Ohrmuscheln der Hörer*innen fallen. Das ist auch gut so: Der Düsseldorfer hat etwas zu sagen.
Thematisch unterteilt sich "Gloria & Schwefel" in zwei Pole. Der eine heißt 'Einer gegen Alle'. Vandalismus hat merklich genug von der Geld- und Aufmerksamkeitsgeilheit der deutschen Hip Hop-Szene und pöbelt entsprechend gegen so ziemlich jede*n, die oder der sich nicht schnell genug in Sicherheit bringen kann. Loredana, Yassin, Tarek, ja, sogar gegen ehemalige Feature-Gäste: "Mich featuren meine Gäste nie zurück, so langsam fällt das auf / oder nur höflich auf Kollabotracks / ey, fickt euch alle, scheiß drauf." Er prangert an und flext, legt den Finger in die Wunde und bewirft die Journaille mit Dreck. "Ihr pusht nur Untergrund, wenns grad zum Leitartikel passt!"
Die frische, aggressive Haltung beflügelt regelrecht seine Wortspiel- und Flow-Variationen. Wo "Rapmusik Im Straßengraben" eher bedacht und etwas ruhiger klingt, legt die Geschwindigkeit auf "Der Bessere Idiot" oder "Parasit Paradies" deutlich zu und die Songs machen so richtig Spaß. Am spürbarsten wird die Attitüde wohl in "Benzin & Farbe": Düster scheppert der Beat vor sich hin, während man am liebsten gemeinsam mit Vandalismus in die kalte Nacht schreien möchte: "Ich brauch' nur Benzin und Farbe / Frieden allein auf der Straße, 'nen dreckigen Beat und mein' Namen."
Auf der anderen Seite gibt es da aber auch die sensiblere, nach innen gekehrte Seite. Der 'Einer von Allen'-Pol. Hier beschreibt der Rapper sehr persönliche Momente, die sich vor allem mit seiner Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Erwartungen an Männlichkeit beschäftigen. Am stärksten thematisiert das eindeutig "Maskulina", in dem Vandalismus unter anderem feststellt: "Ich hab' mich nie wirklich als Mann oder als Frau gefühlt." Aber auch "Malibu Stacy" (mit Panik Panzer)" oder "Messer Und Ballkleid" greifen die Kritik am geltenden Männlichkeitsbild auf.
Trotz der thematischen Zweiteilung wirkt "Gloria & Schwefel" in sich stimmig. Das liegt nicht zuletzt auch an den großartigen Beats, die größtenteils von alten Bekannten stammen: Kamikazes, Jay Baez, Simelli & Sutsche Mane und rob irgendwer, der den "Anfang" und das "Ende" beisteuert. Die Produktionen klingen durchweg atmosphärisch. Mal etwas düsterer, dreckiger, mit grollenden Bässen, mal melancholisch-hoffnungsvoller, ohne kitschig zu sein.
Am stärksten heben sich allerdings die Kamikazes hervor, die mit "Plan B" nicht nur den längsten Song beisteuern, sondern (abgesehen von Intro & Outro) auch den einzigen Instrumental-Track. "Plan B" tänzelt mit verspulter Leichtigkeit durch den schweren Background und gibt dem Album zur Mitte hin einen passenden Scheitelpunkt.
Mit "Gloria & Schwefel" setzt Vandalismus seine musikalische Reise in die richtige Richtung fort. Zwar sind die Themen im Vergleich zu früheren Produktionen unter seinem Degenhardt-Alias mehr oder weniger dieselben geblieben, aber der Blickpunkt hat sich verändert. Die Beobachtung dieser Entwicklung macht auch dem Rapper selbst merklich Spaß und führt zu einem unterhaltsamen Hörerlebnis, straight aus dem Untergrund.
8 Kommentare mit 3 Antworten
Nices Cover. Ernsthaft. Mal reinhören, klingt mir aber nach bisschen viel Message alles. Da lob ich mir doch meinen Ufo.
Album läuft seit heute morgen durchgehend. Super Album. Beats stark, Rap stark, alles toll.
Einziger Wehrkurstropfen ist die Länge. 14 Songs, davon zwei sehr kurze instrumental tracks. Ein reiner instrumental track, wenn auch für mich als kamikazes groupie Höhepunkt Der Platte. Dazu ein sehr kurzer dahingerotzter track "cheburashka". Bleiben 10 Songs, von denen 5 schon Singles waren. Etwas schade.
Aber meckern auf ultra hohem Niveau.
Ich würde zur review nur hinzufügen, dass ich denke, dass "Paradies Parasit" auch einen sarkastischen Unterton hat. Da doch der Support vieler Weggefährten sicherlich wichtig und positiv für Dege war. Prezi sampled ihn ja oft und mit den Kamikazes gab es ne ganze EP.
5/5
So gut hat er noch nie gerappt und die Beats sind auch spitze. Die Battlellastigkeit kommt gut, nachdem er seine Abgründe anscheined erschöpfend durchschritten zu haben scheint.
Abstriche würde ich bei den Thementracks und Features machen. So was wie Maskulina hat er auch schonmal in einem Vierzeiler besser ausgedrückt und mit dem Song mit Panik Panzer werde ich nicht so recht warm.
Insgesamt gute 4/5. Highlights nach zweimal hören wären für mich Alle toten Dichter, Der bessere Idiot und Benzin & Farbe.
Loredana ist noch nicht mal ein Mensch, wie kann sie Musiker sein?
Das Album ist wirklich sehr stark, nach sehr vielen Durchgängen bin ich mir sicher, dass es für meine Jahresbestenliste reicht. Möglicherweise auch für den Spitzenplatz. Durch das viele Hören ist mir aber klarer geworden, was mir nicht so gefällt:
Die Adlibs von "Rapmusik im Straßengraben". Ist einfach ein bisschen too much. Bin aber allgemein auch von Adlibs genervt und hab den Song schon als Single oft gehört.
Die Features. Panik Panzer klingt wie Casper 2011 mit Erkältung. Und der Track ist der schwächste vom Album. Und PTK ist nur so meh.
Die Snare in "Schrottplatz der Kuscheltiere". Mag die einfach nicht, ist mir zu sehr eighties.
Die drei Punkte sind aber Meckern auf Spitzenniveau, ist ziemlich sicher musikalisch, rap- und produktionstechnisch sein bestes Album ever, inhaltlich auf gewohnt hohem Niveau, diesmal direkter als früher, weniger verklausuliert. Kann echt jedem Rap-Fan nur empfehlen da mal reinzuhören, abwechslungsreiche, hervorragende Instrumentals, massenweise zitierungswürdige one-liner, Substanz, Tiefe, Leichtigkeit. Auch für alle, denen Dege zu sperrig und/oder depri war, ist ein reinhören zu empfehlen! Meine Lieblingstracks sind "Parasit Paradies", "Benzin und Farbe", "Der bessere Idiot" und "Alle toten Dichter".
5/5, sollte klar sein.
Ich hab es wiederholt versucht, aber es geht nicht. Klingt genauso anstrengend wie Prezident, der spätestens beim zweiten Album soundästhetisch nur noch nervte. Textlich gut reicht bei Musik nicht, wenn ohne das gewisse Etwas vorgetragen. Penetranter Stimmeinsatz ohne Varietas und flow- bzw reimtechnisch waren wir vor 15-20 Jahren auch schon weiter, das lässt sich für mich dann auch nicht mit "Untergrund" rechtfertigen.
Volle Zustimmung.
Gutes Album, mMn im Großen und Ganzen mit den selben Stärken und Schwächen wie gehabt. Für mich eigentlich nicht überragend, aber mangels Konkurrenz wahrscheinlich trotzdem vorne dabei dieses Jahr (in Sprache und Genre).