laut.de-Kritik
Das Album zum Buch mit Klassikern aus der Anfangsphase des deutschen Hip Hop.
Review von Stefan JohannesbergDas musste ja so kommen. Nach dem Erfolg des sehr guten gleichnamigen Buches von Sascha Verlan und Hannes Loh erscheint nun die passende CD auf Koch Records. Die Hip Hop-Offensive der Münchener Plattenfirma wird mir allmählich unheimlich. Nach dem Rza und seinem gesamten Razor Sharp-Label rissen sie sich auch noch Afu-Ra, Krs-One, Grand Puba, Haystak, Fredro Starr, Outlawz und Flesh N'Bone unter den Nagel. Mit diesem Sampler wagt sich Kochrecords jetzt auch auf den deutschen Markt.
Zunächst ist bei solchen Zusammenstellungen die Frage nach der Notwendigkeit zu klären. Was bringt mir der Erwerb von bereits erschienenen Stücken und warum sollte ich mir gerade diese Compilation kaufen? Die Antwort wird dem geneigten Hip Hop-Fan diesmal sehr leicht gemacht, denn Songs wie "Legal(ly) Spread Dope" (LSD '89), "Schizophrenic" (Lyrical Poetry '92) oder "Ich diss dich" (Konkret Finn '94) kann man höchstens noch im Versand bestellen oder in Second Hand-Läden suchen.
Wer kein CD-Verächter ist, findet auf dieser Scheibe zudem noch viele andere Klassiker der Anfangsphase des deutschen Hip Hop. Zum Beispiel "Kapitel 1" (Torch), "Ich so, Er so" (Eins Zwo), "Reime" (RHP), "Raps vom Mond" (Doppelkopf), "Fremd im eigenen Land" (Advanced Chemistry), "80 Millionen Hooligans" (Die Goldenen Zitronen, IQ, Easy Business) oder "Schlüsselkind" (Cora E). Nicht zu vergessen Fresh Families "Ahmet Gündiz", dem ersten deutschsprachigen Rap auf Vinyl und Weep Not Childs "Afro German". Ja richtig gelesen. Die Hip Hop-Jazzer thematisierten bereits 1993 das Leben der Schwarzen in Deutschland und ziehen heute logischerweise bei den Brothers Keepers im Hintergrund die Fäden.
Diese Stücke muss jeder Hip Hop-Fan kennen, denn sie stehen stellvertretend für die verschiedensten Gehversuche des jungen, deutschsprachigen Raps. Wer sich jetzt wundert, dass keine neueren Lieder von Samy, Savas, Curse usw. Beachtung finden, der sollte sich das Buch zu Gemüte führen. Auch dort liegt das Hauptaugenmerk auf der Entwicklung bis zum Boom 1997/98.
Einzige Ausfälle sind die zwei Anarchist Academy-Beiträge "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" und "Leaving You", Bobs "Jrud Dichter" sowie die Sägerflex-Songs "Hirnblume" und "Publikumsbestrafer". Sie wirken irgendwie deplaziert. Sägerflex und Bob können einfach nix im Vergleich zu den anderen Acts, und als ehemaliger Fan vom doppelten A hätte ich mir eher ältere, aber bahnbrechende Tracks wie "Knall Sie ab" oder "Rudolph Rasta" gewünscht.
Fazit: Die Doppel-CD "20 Jahre Hip Hop in Deutschland" ist die perfekte Untermalung zum Buch, hat aber ähnliche Fehler und Mängel wie die gedruckte Version. Anspruch auf Vollständigkeit erheben beide Varianten nicht. Trotzdem sind sie für Veteranen und Rookies gleichermaßen interessant, geben sie doch einen Einblick in das kreative Hip Hop-Lebensgefühl. Allein die Rap-Musik ist so vielfältig, dass man immer wieder etwas dazu lernt. Auch wenn ich mir immer noch wünsche, dass es jemand mal wagt, alle wichtigen, deutschsprachigen Rapsongs ausgewogen und objektiv zusammen zu stellen.
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