laut.de-Kritik

Das Klassentreffen vom Leistungskurs Diskurspopdiskurs.

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Schlimmer als ein reales Klassentreffen zum 35ten ist das mediale Aufeinandertreffen von Akteurinnen und Akteuren der so genannten Hamburger Schule, das wegen einer TV-Doku von NDR und ARD Kultur über diese Musikbewegung, die Ende der 1980er entstand, nun eskalierte: Natascha Geiers Film "Die Hamburger Schule – Musikszene zwischen Pop und Politik" führte zu einer Diskussion in den Sozialen Medien, die mit einer Party wenig zu tun hatte, sondern eher an ein übellauniges Familienfest erinnerte.

Dabei geht es doch um eine der wenigen wichtigen Musikströmungen aus Deutschland, und vielleicht ist deshalb zur Würdigung auch vielmehr eine Compilation angemessen wie eben "Der Text ist meine Party - Die Hamburger Schule 1989-2000", auf der viele Vertreterinnen und Vertreter der Szene zu hören sind. Aber eben auch nicht alle, und so sorgt die Veröffentlichung hoffentlich nicht auch für beleidigte Reaktionen, da man sich zu wenig für die eigenen Beteiligung gewürdigt fühlt ... Angesichts der Kommentare von Bernd Begemann zur TV-Doku ("ignorantes Ego-Gewixe"), die die Diskussionen auslösten und im schönen Fazit "Diskurspopdiskurs" (Wolfgang Zechner) zusammenzufassen sind, bleibt zu hoffen, dass der schön zusammengestellte Sampler von Tapete Records einfach nur eine Party im Kopf und Ohr auslöst.

Der Opener (Der Text ist meine) "Party" von Kolossale Jugend könnte nicht besser gewählt sein. Der Titel nimmt bereits den später prägenden Begriff vom sogenannten Diskurspop vorweg, und auch die Band selbst stand am Anfang dessen. was dann eben zur so genannten Hamburger Schule wurde. Um die Kolossale Jugend herum gründete sich das wichtige Indie-Label L'age D'or, und zugleich entwickelten sich in der Subkultur der Stadt weitere unabhängige Strukturen mit Clubs und Kneipen, von denen Acts wie Die Braut haut ins Auge, Tocotronic, Blumfeld oder die Sterne (auch auf diesem Sampler vertreten) profitierten, denn sie hatten hier ein neues Selbstverständnis als deutsch-singende Rock-Bands gefunden.

Kolossale Jugend löste sich jedoch zum Höhepunkt der Bewegung 1991 wieder auf, der Sänger und Texter der Band Kristof Schreuf verstarb 2022 mit nur 59 Jahren. Mit seinen Lyrics schrieb er deutsche Popgeschichte, und mit seiner Band gehörte er zu den ersten maßgeblichen Vertretern der Hamburger Schule genauso wie Cpt. Kirk &. und Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, die ebenfalls auf der liebevoll kuratierten Compilation zu hören sind.

Das Album ist das musikalische Pendant zum gleichnamigen Buch von Jonas Engelmann vom Ventil Verlag, in dem viele Musiker:innen versammelt sind, die auch im Buch zu Wort kommen, und einige mehr. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird es wie in der anfangs genannten TV-Doku sicher nicht geben, aber zumindest hier ist Bernd Begemann dabei, dessen Texte eminenten Einfluss auf die Szene hatten und der sogar weithin als Gründer gilt.

Es ist verständlich, dass er gekränkt ist, derart ignoriert zu werden. Es ist jedoch unverständlich, eine Diskussion auf Facebook loszutreten, die die Regisseurin persönlich diffamiert. Um es mit den Worten der großen Christiane Rösinger zu umreißen: "Ich Verstehe deinen Gram, aber die Regisseurin anzugehen ist so (Hamburger) old school ... und die ganzen Diskussionen auf Facebook sind so entlarvend und enthalten alles was ich an der männnermusikszene immer gehasst habe."

Als Tocotronic 1995 sangen, die Lehrer der Hamburger Schule seien alle ganz nett und die meisten Mitschüler auch, konnten sie nicht wissen, wie künftige Klassentreffen so ausfallen – weniger als Party, mehr als Zugetexte. In diesem Sinn: Hören wir doch lieber in den Sound dieser Zeit, der mehr ist als nur "Die Summe der einzelnen Teile" (und mit diesem Song von Kante endet auch diese schöne Compilation, deren Tracktitel lustigerweise auch alle als Kommentar zu dem nun geführten "Diskurspopdiskurs" hergenommen werden könnten).

Trackliste

  1. 1. Kolossale Jugend - Party
  2. 2. We Smile - Kind und Kegel
  3. 3. Bernd Begemann - Hitler - menschlich gesehen
  4. 4. Cpt. Kirk &. - Kommt alle zugleich nach D
  5. 5. Die Braut haut ins Auge - Lauf los
  6. 6. Die Fünf Freunde - Schlechte Laune
  7. 7. Die Sterne - Alles oder niemand
  8. 8. Die Regierung - Ein Idiot mehr
  9. 9. Die Goldenen Zitronen & Easy Business & IQ - Die Bürger
  10. 10. Blumfeld - 2 oder 3 Dinge, die ich von dir weiß
  11. 11. Concord - Ich fürchte fast es ist mir egal
  12. 12. Huah! - Der Krieg-Song
  13. 13. Tocotronic - Die Welt kann mich nicht mehr verstehen
  14. 14. Stella - Sie sagt
  15. 15. Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs - Von Haus aus allein
  16. 16. JaKönigJa - Die Stadt im Sommer
  17. 17. Sport - Du und deine Welt
  18. 18. Kante - Die Summe der einzelnen Teile (Radio Mix)

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3 Kommentare mit 23 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Die Hamburger Schule war durch und durch (Studenten)Schlager vom Scheitel bis zur seelenlosen Sohle.

    • Vor 6 Monaten

      „Ne ne never Quatsch!“ klingt wie ein Albumtitel Distelmeyers. Oder doch Roy Black feat. Heinz Erhardt?

    • Vor 6 Monaten

      Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.

    • Vor 6 Monaten

      Wie möchtest du dein Ei? Auf oder unterm Tisch? (Lass uns nicht von Sex reden)

    • Vor 6 Monaten

      @gueldener
      Schlager - nicht im Sinne von Andrea Berg und Konsorten - in der Tradition von Robert Gilbert, Fritz Grünbaum und den nachfolgenden Generationen (bis in der Zeit vor der absoluten Verkitschung) war deutschsprachige Populärmusik. Den intellektuellen und teilweise subversiven Zugang dazu griff die Hamburger Schule wieder auf, scheiterte aber langfristig an ihren eigenen Klischees. Und ja, neuere Musikstile wie Punk und Rock spielten mit hinein in den Studentenschlager, sind aber ein „Kind der Zeit“-Einfluss und daher nur Beilage zum Schnitzel.

    • Vor 6 Monaten

      Ah, okay, du sonderst einfach nur vollkommen inhaltslosen Krempel ab. Danke für die Klarstellung.

    • Vor 6 Monaten

      Sorry, wenn das über deine Friese geht. Ich kann natürlich auch kleingeistig und stumpf beleidigen wie du. „Digga, was laberst du? Chill dein Leben, Alta!“

    • Vor 6 Monaten

      Steht das NIMH eig für Nickel-Metallhydrid?

    • Vor 6 Monaten

      @Mrs. Brisby und das Geheimnis von NIMH:
      Wenn Du die Hamburger Schule mit Schlager gleichsetzt, im nächsten Atemzug aber die Unterschiede zwischen Hamburger Schule und Schlager hervorhebst ... was willst Du damit sagen?

      "in der Tradition von Robert Gilbert, Fritz Grünbaum und den nachfolgenden Generationen (bis in der Zeit vor der absoluten Verkitschung) war deutschsprachige Populärmusik."
      Auch wenn ich einigen Akteuren der Hamburger Schule unterstelle, hinsichtlich Schlager ihre Hausaufgaben gemacht zu haben, habe ich viele Veröffentlichungen der ersten Zeit damals als eine Fortführung bzw. Neujustierung des Liedermachertums/des Austropops und des Deutschrocks empfunden. Zwischen dem Schlager von anno dunnemals und der Hamburger Schule lag schon eine Zeit, in der bereits Experimente in die Richtung gemacht wurden, die später von anderen Akteuren weiterentwickelt wurden.

      "Den intellektuellen und teilweise subversiven Zugang dazu griff die Hamburger Schule wieder auf, scheiterte aber langfristig an ihren eigenen Klischees."
      Tatsächlich glaube ich noch nicht mal, daß die Hamburger Schule wirklich "gescheitert" ist. Bernd Begemann zieht einen gewissen Strich, der seiner Meinung nach den Namen der Goldenen Zitronen trägt. Ich kann das eigentlich auch nachvollziehen, allerdings sehe ich die Goldenen Zitronen eher als eine Art Abzweigung in eine Sackgasse, aber nicht als das Ende der Hauptstraße. Wenn es in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Leute gab, die sich entweder auf Interpreten der Hamburger Schule berufen haben - oder auf Interpreten, die sich auf Interpreten der Hamburger Schule berufen haben, sehe ich das "Scheitern" nicht, auch wenn man sich immer mehr vom eigentlichen Kern entfernt hat, sei es jetzt musiktheoretisch oder geografisch. Die Hamburger Schule hat einige Ohren geöffnet und Plattformen geschaffen, auf die andere Künstler aufbauen konnten, wurscht ob die Kettcar oder Tomte oder Fink hießen, und ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob Element Of Crime ihre Entscheidung, ins Deutsche zu wechseln, damals wirklich so gut überlebt hätten, wenn da nicht aus Hamburg bereits entsprechende Signale gekommen wären der Marke "Das kann funktionieren".

      "Und ja, neuere Musikstile wie Punk und Rock spielten mit hinein in den Studentenschlager, sind aber ein „Kind der Zeit“-Einfluss und daher nur Beilage zum Schnitzel."
      ...? Die Aussage kommt mir ziemlich nichtssagend bis oberflächlich vor ...

      Gruß
      Skywise

    • Vor 6 Monaten

      @Skywise: Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, das auszuformulieren. Ich war zu faul.

      @NIMH: Joa, dass du in deiner Antwort mit so stumpfem Klassismus kommst, passt halt wie Arsch auf Eimer zu Deiner billigen Pop-Intellektuellen-Attitüde, die du hier erfolglos versuchst vor dir her zu tragen. Immerhin kohärent.

    • Vor 6 Monaten

      Sky, der Unterschied ist deshalb angebracht, da es zwei parallel verlaufende Entwicklungen des Schlagers gab und gibt. Pop gab es schon bevor es Pop hieß, das Wort dafür war Schlager. Mittlerweile ist die Bezeichnung aber nur mehr für den Rotz a la Amigos erhalten geblieben, wenn auch Musiker/Bands in der Tradition des ursprünglichen Sinnes noch existieren.

      Gescheitert beziehe ich 1. auf das Fehlen einer dritten Welle der Hamburger Schule. Einzelne Vertreter (wie die etwa die Tocos) mögen noch relevante Alben hervorbringen, aber neue Bands, die sich auf die HS berufen, gibt es nicht. Und 2. es gab nie eine innere Erneuerung. Die HS ist auserzählt.

      Die Aussage bezüglich EOC halte ich für gewagt, glaube da eher an eine natürliche Entwicklung, die früher oder später kommen musste. Regener ist im Herzen zu sehr Literat, um nicht die Muttersprache als eigenes Instrument zu begreifen.

    • Vor 6 Monaten

      "Sky, der Unterschied ist deshalb angebracht, da es zwei parallel verlaufende Entwicklungen des Schlagers gab und gibt."
      Kann ich so nicht erkennen ... wie soll die Entwicklung laufen? Zwischen "grenzdebil" und "ganz pfiffig" gab's keine wesentliche Entwicklung, die Sachen gab es damals wie heute parallel zueinander, und die gibt's auch heute noch.

      "Pop gab es schon bevor es Pop hieß, das Wort dafür war Schlager."
      Genauso wie "Chanson-Pop" oder "Singer-Songwriter" früher auch "Schlager" hieß?
      Aber ich bezweifle, daß Du mit der Definition von "Schlager = Pop" wirklich richtig liegst. "Pop" ist für mich eine Musikrichtung, "Schlager" für mich erst mal nicht viel mehr als eine große Schublade, die keinen einheitlichen Musikstil und kein einheitliches Niveau kennt.
      https://www.youtube.com/watch?v=MwnFX0_H-rA
      https://www.youtube.com/watch?v=-evBna1RFAg
      https://www.youtube.com/watch?v=tm-963RL4h8
      https://www.youtube.com/watch?v=q3octrgV_oc

      "Gescheitert beziehe ich 1. auf das Fehlen einer dritten Welle der Hamburger Schule. Einzelne Vertreter (wie die etwa die Tocos) mögen noch relevante Alben hervorbringen, aber neue Bands, die sich auf die HS berufen, gibt es nicht. Und 2. es gab nie eine innere Erneuerung."
      Du meinst, die Goldenen Zitronen klingen wie Bernd Begemann und Tocotronic haben immer stilistisch dasselbe Album vorgelegt?
      Es gab keine "innere Erneuerung", es gab eine Weiterentwicklung, und die hat teilweise weg von den Indie-Wurzeln geführt, gleichzeitig wurde das Spektrum erweitert. Wenn eines der beiden wichtigen Labels der Hamburger Schule (Grand Hotel van Cleef) heute noch immer munter veröffentlicht ... wer veröffentlicht denn da, wenn nicht Leute, die zumindest einen Teil des Geistes der Hamburger Schule weitertragen?

      "Die Aussage bezüglich EOC halte ich für gewagt, glaube da eher an eine natürliche Entwicklung, die früher oder später kommen musste. Regener ist im Herzen zu sehr Literat, um nicht die Muttersprache als eigenes Instrument zu begreifen."
      Ich habe nicht davon gesprochen, daß Herr Regener niemals auf Deutsch veröffentlicht hätte. Das wäre auch dumm gewesen, denn er hat ja bereits zu englischsprachigen EOC-Zeiten deutsche Lieder in die Setlist oder auch auf einem Album eingestreut. Ich habe davon gesprochen, daß EOC auf einen Markt gestoßen sind, auf dem deutschsprachige, teilweise auch verkopfte Texte zu teils ungewohnter musikalischer Begleitung bereits präsent waren.
      Gruß
      Skywise

  • Vor 6 Monaten

    "Liebe ist ein Versuch zu verstehen
    Liebe ist eine Technik und ein System
    Du - ich such nach einem Bild für dich
    Du - zu zeigen was du für mich bist
    Du - ich hab dich so lang vermißt
    Du - weil es Liebe ist."

    Textlich und musikalisch immer etwas zu prätentiös...und überhaupt das Schlagerhafte...

  • Vor 6 Monaten

    Schulz & Böhmermann vertonen den Facebook-Beef im Anschluss an die NDR Doku:
    https://open.spotify.com/episode/2pcXdBjJo…

    • Vor 6 Monaten

      Link zum Beef auf FB?

    • Vor 6 Monaten

      Bin nicht bei FB. Die Links zu den jeweiligen Profilen findest Du ganz unten im Ausgangstext:
      https://blogs.taz.de/popblog/2024/06/03/ha…

    • Vor 6 Monaten

      Die Aussagen von den beiden dazu fand ich so daneben. Klar haben die jeweils was geschafft und sind bekannter und erfolgreicher, als es die einzelnen Akteure in der HS zusammen jeweils sein werden, ABER:

      Beide Herren stellen sich mit Ihren "naja, so Eitel sollte man da nicht sein blah, also mir wäre das egal ob ich da erwähnt werde" Aussagen auf eine Stufe mit Kulturschaffenden, die wirklich einen Impact hatten und deren Geschichte es immerhin bis heute überlebt hat. Vllt kam es mir nur so vor, aber das klang gestern schon sehr von oben herab, obwohl die Gründe für Jan und Ollis Erfolg sicher nicht darin liegen, dass die beiden musikalisch oder lyrisch iwann mal in ähnlichen Regionen dieser Bands geflogen sind, ma sagen.

    • Vor 6 Monaten

      Schulz & Böhmermann vertonen nicht den Beef, sondern den Taz-Blogbeitrag. Und das finde ich so legitim, wie "amüsant" der Beef an sich ist. Und am Ende zeigt der ganze Vorgang vor allem, dass selbst Diskursheroen am Ende einfach nur Menschen mit Eitelkeiten und Befindlichkeiten sind. Gut, dass das jetzt sowohl in Text und Ton archiviert ist, könnte mir vorstellen, dass der ein oder andere seine Postings irgendwann wieder löschen würde von daher trifft es der Titel "Oral History" schon ziemlich gut.

    • Vor 6 Monaten

      @sir.mulansky: Ich verstehe deine Kritik nicht. Welche Aussagen denn? Im Podcast? Da haben sie sich doch wirklich sehr differenziert und wertschätzend drüber ausgetauscht.

      @SigueSigueSnev: Äh ja, der Taz-Blogbeitrag ist die chronologische Ordung der Facebook-Texte des "Beefs", das Hörspiel von S&B die Vertonung dessen -> Vertonung den Facebook-Beefs.
      Sonst noch irgendwelche Klugscheißereien loszuwerden?

    • Vor 6 Monaten

      Danke fuer den Link gueldi, sehr unterhaltsam gemacht. :lol:

    • Vor 6 Monaten

      Ach Böhmi hat direkt so ein Lachen rausgehauen, als Olli den Artikel erwähnt hat und diese auf Ernst Ferndiagnosen ala "sind halt auch nur Menschen die geliebt werden wollen" gegenüber dem (eher) realshit von so 2/5 Künstlern find ich uncool von den beiden, obwohl du natürlich Recht hast, das man auch wertschätzend drüber gesprochen hat.