laut.de-Kritik

25 Songs erzählen die Geschichte des Punk.

Review von

Jon Savage zählt mit Greil Marcus ("Lipstick Traces") und dem Autorenteam Legs McNeil/Gillian McCain ("Please Kill Me") zu den wichtigsten Chronisten des Punk-Phänomens, das vor gut 30 Jahren zu einer gewaltigen Jugendbewegung ausartete. Musikalisch fiel der dringend notwendige Gegenpol zu achtminütigen Hippie Rock-Etüden durchaus unterschiedlich aus. Ein Jahr, nachdem Savages gleichnamiges Buch von 1992 ins Deutsche übersetzt wurde, erscheint nun die dazugehörige "England's Dreaming"-Compilation, die sich allerdings nicht auf Bands von der Insel beschränkt.

Ähnlich dem nachträglich zum Buch veröffentlichten "Verschwende Deine Jugend"-Sampler, präsentiert auch Savage vor allem unbekannte Bands, die sich damals in Scharen hinter dem Rücken der Sex Pistols formierten. Wenngleich der ehemalige Sounds-Journalist nicht verhehlt, dass einige seiner Lieblingssongs aufgrund vergeblicher Freigabebemühungen nicht mit dabei sind. Nun, die Ramones immerhin sind drauf, und von ihrem '77er-Brett "Gimme Gimme Shock Treatment" aus dem zweiten Album bekommt man, wie von so vielen Ramones-Songs, eh niemals genug. Den Anfang macht aber Turnvater Iggy, dessen raubeinige Stooges auch Savage zum Initiator der krachigen Revolte ausmacht: die hier vertretene Remix-Version des Klassikers "Search & Destroy" steht dem Original an Härte in nichts nach.

Die "Accident"-Nummer der Cleveland-Combo The Electric Eels muss dagegen ein ziemlicher Favorit des Briten sein, da hier eine anstrengende Mittsiebziger-Bootleg-Qualität aus den Boxen rauscht. Ansonsten beweist Savage reichlich Geschmack: der schwere Rock'n'Roll-Feger der australischen The Saints schaffte es 1977 nicht zuletzt aufgrund seiner Ohrwurm-Riffs bis in die britischen Top Of The Pops, die Buzzcocks liefern mit "Orgasm Addict" ihren eindeutigen Beitrag zum Thema "Was sie schon immer über Sex wissen wollten ..." ab.

Auch in den Vereinigten Staaten wurde kräftig gebolzt. Der monotone Stakkato-Beat von "Forming", einem Song der Germs aus Los Angeles, gehört zu den Highlights der Platte. Mit Pat Smear ist übrigens ein Gitarrist im Line Up dabei, der später zu einem wahren Liebling alternativer Musiker erwuchs. Während Nina Hagen sich Smears Dienste 1983 noch sichern konnte, erhielt Flea zehn Jahre später eine Absage. Bei Kurt Cobain konnte der Germs-Mann ein Jahr später dann nicht mehr widerstehen und begleitete Nirvana somit auf deren letzter Tournee.

Zornige Rebellion in Inhalt und Form repräsentiert auf eindrucksvollste Weise der Beitrag der aus Orange County stammenden Formation The Dils. In einer Minute und vierzig Sekunden ruft das Trio auf der längst vergriffenen Nummer "I Hate The Rich" von 1977 zum Klassenkampf auf. Nicht minder hörenswert der kanadische Beitrag der Diodes mit einem veritablen Joey Ramone-Klon am Mikro und der rockende Viereinhalbminüter der Avengers, die 1978 im heimischen San Francisco das letzte Konzert der Sex Pistols vor deren Auflösung eröffneten. Sängerin Penelope Houston machte sich später übrigens als Folk-Sängerin einen Namen.

Auch vor experimentellen Auswüchsen der Bewegung scheut Savage nicht zurück. Neben einer durchgeknallten Beatles-Dekonstruktion der Residents, findet auch Brian Enos Radioschnipsel-Funk "R.A.F." und The Normals aka Daniel Millers Minimal-Elektro "TVOD" Erwähnung. Besonders schön: eine bislang unveröffentlichte, herrlich stürmische Liveaufnahme von Devo ("Gut Feeling/Sloppy") und der französische Beitrag von Metal Urbain. Wer also neue Inspiration abseits bekannter Clash-Melodien oder Cocksparrer-Hymnen sucht, oder wer einfach nur nach unbekannten Bands forstet, mit denen er im Freundeskreis protzen kann; Jon Savage hilft weiter.

Trackliste

  1. 1. Search And Destroy (Iggy & The Stooges)
  2. 2. Accident (Electric Eels)
  3. 3. My Generation (Patti Smith)
  4. 4. Gimme Gimme Shock Treatment (Ramones)
  5. 5. This Perfect Day (The Saints)
  6. 6. Never Never (Penetration)
  7. 7. Gut Feeling/Sloppy - live (Devo)
  8. 8. Orgasm Addict (Buzzcocks)
  9. 9. Mr. Suit (Wire)
  10. 10. Beyond The Valley Of A Day In The Life (The Residents)
  11. 11. Forming (The Germs)
  12. 12. I Hate The Rich (The Dils)
  13. 13. Car Crash (The Avengers)
  14. 14. Time Damage (The Diodes)
  15. 15. We Got The Neutron Bomb (The Weirdos)
  16. 16. Wild Weekend (The Zeros)
  17. 17. RAF (Brian Eno & Snatch)
  18. 18. TVOD (The Normal)
  19. 19. The Set Up (Cabaret Voltaire)
  20. 20. I'm A Bug (The Urinals)
  21. 21. Young Girls At Market (Bizarros)
  22. 22. Hysterie Connective (Metal Urbain)
  23. 23. Identity (X-Ray-Spex)
  24. 24. Nicotine Stain (Siouxsie & The Banshees)
  25. 25. The Great British Mistake (The Adverts)

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