laut.de-Kritik
Wie kann sich etwas so Falsches so richtig anfühlen?
Review von Sven KabelitzSpielt "Jaja Ding Dong"! Ich werde es nie satt haben. Das einzige, was ich hören will, ist "Jaja Ding Dong". Wenn es "Jaja Ding Dong" am Ende des Jahres hier nicht mindestens auf den ersten Platz der besten Songs des Jahres schafft, dann läuft aber mal so einiges schief bei laut.de.
Dabei stellt das Lied nur einen der vielen musikalischen Höhepunkt des sympathischen Netflix-Hits "Eurovision Song Contest: The Story Of Fire Saga" dar. Ein Film, der schnell begreift, dass es gar nicht möglich ist, den ESC zu verballhornen, da man ihn schlichtweg nicht übersteigern kann. Man kann den Wahnwitz des Songwettstreits nur wiedergeben. Vielmehr stellt er eine Hommage an den Wettbewerb dar, gepaart mit der Underdog-Story der isländischen Band Fire Saga.
Das nicht gerade von Fortuna geküsste Duo besteht aus Lars Ericksong und Sigrit Ericksdottir, gespielt von Will Ferrell und Rachel McAdams. Der Film funktioniert dabei nicht wegen, sondern trotz Ferrell. Viel mehr hat er fast alles dem herzerquickendem Spiel von McAdams zu verdanken. Dazu kommt Ex-Bond Pierce Brosnan als Erick Erickssong, der den einzigen perfekt frisierten Menschen auf ganz Island spielt.
Der am Drehbuch beteiligte Ferrell kam zu dem Thema über seine schwedische Ehefrau, die den ESC mit in die Beziehung brachte. Dass er sich ebenso in den Contest verliebte, merkt man dem Film in jeder Minute an. Anders wäre er in dieser Art nicht möglich gewesen. Es bereitet Freude, wie der Kalifornier jeden Amerikaner aufs übelste beschimpft, der ihm zu nahe kommt.
Mit dem Abgreifen von allen möglichen Genres und Trends zuzüglich einer Jahrzehnte hinterhinkenden Soundästehik fasst der Soundtrack alles zusammen, was den ESC ausmacht. Doch da man sonst mehr die Outfits als die Lieder in Erinnerung behält, zecken sich nun die Melodien dank Songwriter*innen wie Arnþór Birgisson (Janet Jackson, Ronan Keating, Jennifer Lopez), Rami Yacoub (Lady Gaga, Selena Gomez, Madonna), Savan Kotecha (Ariana Grande, Katy Perry, The Weeknd), Jörgen Elofsson (Britney Spears, Westlife, David Hasselhoff) oder Luísa Sobral (Salvador Sobral) schnell fest. So ensteht der musikalisch beste ESC seit Jahrzehnten, den es nie gegeben hat.
Obacht! Ab hier gilt eine ganz leichte Spoiler-Warnung. Weiterlesen also auf eigene Gefahr.
Mit dem stimmgewaltigen Russen Alexander Lemtov im feurigen "Lion Of Love" (Erik Mjönes), dem von Schweden an die crazy Jugend gerichteten "Coolin' With Da Homies" von Johnny John John (Savan Kotecha) oder dem Eurodance-Metal "Running With The Wolves" von dem seltsamerweise nicht aus Finnland, sondern aus Weißrussland kommenden Lordi-Look-alike Moon Fang (Courtney Jenaé & Adam Grahn) findet alles seinen Platz.
Das Zentrum bildet das Autotune-Massaker "Sing-A-Long", das die Songs "Believe", "Ray Of Light", "Waterloo", "Ne Partez Pas Sans Moi" und "I Gotta Feeling" verwurstet. In diesem wimmelt es unter anderem mit Conchita Wurst, Netta, John Lundvik oder Bilal Hassani nur so vor Gastbeiträgen ehemaliger ESC-Teilnehmer'innen. Dazu gibt es noch einmal Salvador Sobrals herzergreifendes und in diesem Umfeld so untypisches Gewinnerlied "Amar pelos Dois",
Doch den glorreichen Fire Saga gebührt natürlich mit fünf Songs die Hauptrolle. Den Platz von Sigrit Ericksdottir übernimmt hier aber die als My Marianne ausgewiesene Molly Sandén von Rachel McAdams. 2006 nahm sie für Schweden am Junior Eurovision Song Contest teil. Ferrell bleibt Ferrell, was zumindest die meiste Zeit über gar nicht so schlimm klingt.
Das "Happy"-Cover (Pharrell Williams) kann man unter den Tisch kehren, mit dem Rest gelingt ihnen aber ein Hit nach dem anderen. Allen voran – falls ich es noch nicht erwähnt haben sollte – das ebenso schrullige wie einnehmende "Jaja Ding Dong", das man, einmal gehört, nie wieder vergisst. Der Europop-Track "Volcano Man", ("Volcanic Protector Man / A timeless hero must love too") greift in seiner Kühle und Klangästehtik die Kühle Islands auf. "Woke up at night / I heard floating chords / They guided me / To the highland fjords."
"Double Trouble" stellt einen ESC-Beitrag deluxe dar, der mit seiner Dynamik den Wettbewerb in jedem Jahr gewinnen würde. "How can something so wrong feel so right?" Das Herzstück des Soundtracks stellt jedoch die ergreifende Ballade "Husavik" dar. Im überwältigenden und von Tränen bedeckten Finale trifft Sigrit Ericksdottir dann gar den Sphärenton. Allerschönster Kitschstoff.
Letztendlich bleiben zwei Wünsche: 1. Spielt "Jaja Ding Dong" auf meiner Beerdigung! 2. Gebt uns ein ganzes Fire Saga-Album. Sofort!
2 Kommentare mit 7 Antworten
Das erklärt auf jeden Fall die misslungene Lady Gaga-Rezi. Pop ist schon eine komplizierte Sache, was?
Pop ist eine Rutsche, geht nur abwärts. Kabelitz hätte da nie drauf gedurft.
Ich glaub es fing damals alles mit "Work Bitch" von Britney an... da wurden seine verborgenen Pop-Gelüste geweckt.
mei, wenn ausnahmsweise der kabelitz derjenige ist, der über was rutschen darf, gönnt ihm
Habe mir Jaja Ding Dong und Volcano Man spaßeshalber mal gegeben. Letzteres finde ich tatsächlich ganz feierbar. Dass man Jaja Ding Dong als klischeehafte Parodie deutschen Zeltfestschlagers als Ami vielleicht ganz lustig findet, kann ich mir auch noch vorstellen und im Film ist das wohl ein ziemlicher Gag. So isoliert muss man als hier Ansässiger dann aber doch feststellen, dass das alles so klischeehaft gar nicht ist und sich die Parodie von den Vorbildern nicht wirklich nennenswert unterscheidet. Und das ist dann doch eher deprimierend als feierbar.
Denke aber mal, dass man sich so oder so wahrscheinlich erstmal den Film anschauen muss, um damit irgendetwas anfangen zu können.
Und ansonsten sollte die Tatsache, dass SK das als zertifizierter Eurodance Fanboi der Redaktion das hier vielleicht noch ein bisschen extra feiert, eigentlich auch niemanden wundern.
Oh, und es wäre natürlich ein Frevel, nicht darauf hinhuweisen, dass Volcano Man wenn überhaupt natürlich nur der zweitbeste humoristische Song mit einem Keyboard-spielenden nordischen Krieger ist:
https://www.youtube.com/watch?v=Ya4RNdZtPow
You're in a nosedive, Gleep. Pull up
Ach Gottchen, es ist doch allen Beteiligten letztendlich bewusst, dass das rein musikalisch keinen höheren Wert hat. Darum geht's ja auch gar nicht.