laut.de-Kritik
Perfekte Playlist für eine Zeitreise in Japans goldene Ära des Funks.
Review von Yannik GölzDie Zauberhand des Internetzeitalters wirbelte schon manchen Staub auf. In Zeiten von Sampling, Fernost-Faszination und digitaler Nostalgie gibt es aber kaum eine spannendere Musik-Restauration als den Hype um das Genre des City Pops. Millionenfach werden die Uploads der Tracks des japanischen Wirtschaftswunders aus den Siebzigern geklickt, so oft, dass mit "Plastic Love" von Mariya Takeuchi sogar ein besonders beliebter Vertreter 35 Jahre später ein Musikvideo nachgeliefert bekommt.
Wer sich also für dieses Genre erwärmen will, dem wird nun von den wahren Kennern ein kleiner Leitfaden in die Hand gegeben: "Pacific Breeze: A City Pop Primer" ist ein intriganter, origineller Playlist-Rundumschlag auf alle Facetten der japanischen Musikkultur dieser Zeit, der gekonnt zwischen den Einflüssen aus Funk, Boogie, Adult Oriented Rock und Jazz-Fusion jongliert und eine spannende Balance aus Klassikern und obskureren Tracks findet.
Hauptorchestrator des Projekts ist Haruomi Hosono vom ikonischen Yellow Magic Orchestra, der sich das Mission Statement des Labels "Light In The Attic" gesetzt hat: Im Vorfeld zum Release einer neuen Light In The Attic-Compilation orchestriert die Gruppe eine so wunderbar fließende Sammlung an Songs via Spotify, dass dieser Eindruck fast spannender als das Release selbst ist. Das Hörerlebnis der "Pacific Breeze"-Playlist ist ein quintessentieller Einblick in das Genre und hält, was der Titel verspricht: Es ist urban, beschwingt und trägt einen einzigartigen, treibenden Flair mit sich.
Beispielhaft sind die briesigen Highlights wie Kingo Hamadas "Midnight Cruisin", das den eleganten, nokturnalen Sound seiner "Manhattan In The Rain"-Platte in einen etwas tanzbareren Takt legt. Bei weitem nicht die einzige Übersee-Connection: Auch Yasuko Agawa stellt auf "L.A. Nights" unter Beweis, warum ihre melancholischen , träumerischen Jazz-Vocals sie an der Westküste in Sessions mit Duke Ellington und Art Taylor verschlagen haben.
Die drei beeindruckendsten Momente kommen allerdings von klaren Genre-Ikonen: "I Thought It Was You" ist ein hypnotisches, endlos treibendes Funk-Meisterwerk, das für eine minimalistische Komposition unter den butterweichen Vocals von Japans beliebtester Jazz-Sängerin Kimiko Kasai noch Herbie Hancock für die elektrisierenden Synthesizer rekrutiert und im Breakdown gegen Ende des Songs fast Daft Punk-Vibes erzeugt. "Cobalt Hour" ist der Titeltrack des dritten Album von J-Pop Megastar Yumi Arai, die hier mit einem progressiv geschriebenen Stück beweist, warum sie in ihrer Karriere über 40 Millionen Einheiten verkaufte.
Unverzichtbar für einen City Pop-Primer ist die unverkennbare Stimme von Taeko Ohnuki, die ab den Achtzigern einen deutlich Funk-versierteren und exzentrischeren Sound an den Tag legte und hier auch nicht mit ihren ikonischeren Alben wie "Sunshower" oder "Mignonne" vertreten ist, sondern mit einem Cut aus dem späteren Werk "Copine". Der verspielte Groove und die einzigartigen Synth-Entscheidungen schreien förmlich nach dem YMO, die mit einer eigenwilligen "Sound Of Music"-Aufarbeitung auf "Cue" vertreten sind. Synth-Pop-Weirdness, die direkt im Anschluss von F.O.E.s (kurz für Friends Of Earth) eigenwilligem Elektro-Beat-Stück "In My Jungle" ausgebaut wird.
Es ist ein angenehmer und einladender Vibe, der sich somit über die recht lange Spielzeit erstreckt und dank der lebendigen Genre-Variaton auch kaum langweilig wird. Die obskureren Künstler strecken mit den eher formelhaften City Pop-Cuts die Erfahrung teils ein wenig, auch wenn mancher Griff sich als sehr glücklich erweist: Sadistics-Gitarrist Masayoshi Takanaka etwa leistet auf "Samba Pati" eine der beeindruckendsten Intstrumentalarbeiten an seiner exzentrischen Gitarre. Nicht umsonst wurde seine schräge, quirlige Soundarbeit zum Beispiel auf "Penguin Dancer" von Grimes auf "Butterfly" vom "Art Angels"-Album gesamplet.
"Pacific Breeze: A City Pop Primer" ist in der zwanzig Tracks starken Spotify-Liste entweder ein intriganter Deep Dive in die Künstler und Sounds einer musikalisch faszinierenden Zeit im Japan der Siebziger – oder einfach nur ein verdammt entspanntes Moodboard für einen sonnigen Nachmittag. Egal, ob man sich nun voll und ganz darauf einlassen möchte oder nicht: Die Zusammenstellung strotzt nur so vor träumerischen Pieces, geschmackvoll kombinierten Genre-Facetten und blendenden Vocal- und Instrument-Performances. Wer auch nur einen Hauch Neugier für dieses Genre empfindet, sollte sie sich nicht entgehen lassen.
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