laut.de-Kritik
Compilations kommen und gehen, Hits bleiben.
Review von Giuliano BenassiDie Geschichte von Stax ähnelt der von Sun und Tamla Motown: Gegründet von Enthusiasten, einige Jahre stilprägend und erfolgreich. Dann aber doch pleite, weil die Verträge aus der Gründerzeit ungünstige Bedingungen enthielten, das Finanzamt anklopfte. Vor allem aber, weil sich die Trends änderten. Übrig blieben neben Schulden jede Menge Legenden und Hits.
Typischerweise gehen die Kataloge in der Folge durch verschiedene Hände, was dazu führt, dass alle paar Jahre Best-Ofs unterschiedlichen Umfangs auf den Markt kommen. Stax gehört seit 2004 Marke zu Concord, das zweigleisig fährt: Einerseits als Label für u.a. Ben Harper, andererseits als Erbverwalter. 2007 erschien die erfolgreiche 50-Track-Compilation "Stax 50: A 50th Anniversary Celebration", 10 Jahre später nun vorliegendes Werk. Konsequenterweise mit 60 Stücken.
Die meisten Tracks sind auf beiden Sammlungen vorhanden, doch ist "60" nicht "50" mit zehn Titeln mehr, denn sie haben 'nur' 48 gemeinsam. Hier fehlen Otis Reddings "Respect" und The Mad Lads' " I Want Someone", dafür sind nun etwa Reddings "Try A Little Tenderness" und "The Weight" der Staple Singers dabei. Neu auch der Begleittext des Journalisten und Songwriters Jeff Slate, der die Geschichte des Labels zusammenfasst.
Die ist zwar schon vielfach erzählt worden, am ausführlichsten 1998 in Rob Bowmans Biografie "Soulsville U.S.A.: The Story Of Stax Records", doch bleibt sie interessant. Der Name entstand aus den ersten Buchstaben der Nachnamen der Geschwister Jim Stewart und Estelle Axton. Stewart hatte 1957 das Label Satellite gegründet, Axton einen Kredit aufgenommen, um Aufnahmeequipment kaufen zu können. 1960 zogen sie in ein altes Kino im Süden von Memphis und richteten dort ein Studio samt Plattenladen ein. In Anlehnung an Motown, das seine Headquarters "Hitsville" getauft hatte, nannten sie es "Soulsville, USA".
Im Viertel wohnten Schwarze und Weiße gemeinsam, wenn auch nicht unbedingt miteinander. Im Süden der USA galt noch die Rassentrennung, Soulsville war jedoch eine Ausnahme. Was sich auch an der Hausband zeigte: Keyboarder Booker T. Jones war schwarz, ebenso wie Schlagzeuger Albert Jackson. Bassist Lewie Steinberg (ab 1965 Donald "Duck" Dunn) und Gitarrist Steve Cropper dagegen weiß. Das "MG" aus Booker T. & The MGs stand sowohl für "Memphis Group" als auch für "Mixed Group". (Oder auch für den längst verschwundenen britischen Sportwagenhersteller Morris Garages, so genau lässt sich das nicht sagen).
Stewart am Mischpult und das Quartett im Aufnahmeraum lieferten bis in die 1970er Jahre Hits am Fließband und machten viele der hoffnungsvollen Sänger, die den Raum betraten, zu Stars. Wobei sie mit "Green Onions" 1962 selbst einen instrumentalen Hit feierten. Ob Redding, Sam & Dave, Carla Thomas oder Eddie Floyd, gemeinsam prägten sie den Stil, der als "Memphis Soul" in die Musikgeschichte eingegangen ist: Fröhlich und tanzbar, eine Mischung aus Soul und Rhythm And Blues, jedoch nicht so schrill poppig und kommerziell wie der von Motown aus Detroit. Eine Hitmaschine mit einer Seele, also.
Um seine Platten landesweit an den Käufer zu bringen, hatte Stax früh einen Vertriebsdeal mit Atlantic unterzeichnet. Als Warner 1967 Atlantic aufkaufte, erwarb es automatisch auch die Masterbänder aller veröffentlichten Stax-Singles und mit Sam & Dave die erfolgreichsten Künstler. Stewart versuchte einen Neustart. Der gelang, als er den langjährigen Studiomusiker, Produzenten und Songschreiber Isaac Hayes zum Sänger beförderte. Mit dem Album "Hot Buttered Soul" (1969) und dem Soundtrack zum Blaxploitation-Klassiker "Shaft" zwei Jahre später, der ihm einen Oscar einbrachte, wurde er zum neuen Gesicht des Labels.
Der Umbruch hatte jedoch viel Unruhe nach Soulsville gebracht. Nachdem Axton 1970 ihren Anteil verkauft hatte, ging 1972 auch ihr Bruder. Und mit ihm das Label den Bach runter. 1975 setzte Stewart sein gesamtes Vermögen ein, um es zu retten, doch vergeblich: Stax ging 1976 pleite und der Gründer hatte - nun auch finanziell - alles verloren.
Das ehemalige Kino, das das Studio beherbergte, wurde 1989 abgerissen. Es war mittlerweile genauso verkommen wie das Viertel selbst. Seit 2003 steht an selber Stelle ein Nachbau, in dem sich das Stax Museum of American Soul Music samt Musikschule befindet. Jim Stewart zog sich nach der Pleite zurück und erschien 2002 nicht mal persönlich zur Aufnahme in die Rock'n'Roll Hall of Fame.
Die letzten Worte im Booklet stammen von ihm. "Stax war mein Baby. Ich bin sehr glücklich darüber, dass die Musik, die wir damals erschaffen und aufgenommen haben, immer noch neu entdeckt wird. Sie bleibt in den Herzen von Fans überall auf der Welt, die die Anziehungskraft von 'echter' Musik spüren", äußert sich der mittlerweile 87-Jährige. So erklärt sich auch der Sinn dieser Veröffentlichung: Compilations kommen und gehen, die Hits bleiben.
1 Kommentar
Sind zwar nur oft die üblichen verdächtigen Songs mit oben, doch scheint mir für Einsteiger und Komplettisten durchaus lohnend.