laut.de-Kritik
Guter Wille vs. gute Laune.
Review von Joachim GaugerWo der gute Wille regiert, bleibt die gute Laune gern auf der Strecke. Diese Binsenweisheit macht leider auch vor vorliegender DVD nicht Halt, seine Pflicht hat der geneigte Käufer mit dem Abrüsten von ca. 20 Euro noch lange nicht erfüllt. Neben toller Musik aus allen Regionen Afrikas muss er auch noch allerlei bemühte Reden über sich ergehen lassen.
Dabei gibt es gerade in musikalischer Hinsicht Einiges zu entdecken auf "Africa Calling". Zwar haben einige große Namen ihre Teilnahme verweigert; so bezweifelte etwa der politisch in seiner Heimat sehr engagierte Femi Kuti jeden Nutzen des Projektes, wo doch schon die erste Ausgabe von "Live Aid" Afrika nicht wirklich geholfen habe. Dennoch ist es Peter Gabriel gelungen, für sein Parallel-Konzert zu "Live 8" einen fast repräsentativen Querschnitt der afrikanischen Musik zusammen zu trommeln. Dabei mischen sich alte Hasen, mit denen der frühere Genesis-Sänger teilweise bereits öfter zusammen gearbeitet hat, mit hierzulande völlig unbekannten Außenseitern.
Ohne die vorliegende DVD hätte man beispielsweise wohl kaum jemals Siyaya kennen gelernt, das traditionell orientierte Musiker- und Tänzer-Kollektiv aus Simbabwe. Wer sich von diesem Rhythmus und dieser Fröhlichkeit nicht wenigstens zu leichtem Hüftwackeln verleiten lässt, der muss schon einen ausgewachsenen Baum verschluckt haben. Allerdings haben Siyaya auch den Vorteil, dass ihre Auftritt von einer kleinen Nebenbühne in Simbabwe zugespielt wird; wer weiß, ob sie auch das eher unterkühlt wirkende Publikum vor der Hauptbühne in Edinburgh 'geknackt' hätten. Andere Stilrichtungen und Gegenden des vielseitigen Kontinents vertreten etwa Kanda Bongo Man (Kongo) Tinariwen (Mali) oder Akim El Sikameya (Algerien) auf angemessene Weise.
Zu den bekannteren Musikern zählt etwa der große Geoffrey Oryema. Souverän verschmilzt der 52-Jährige westlich geprägte Pop-, Soul- oder auch mal Rock-Elemente mit der traditionellen Musik Ugandas. Nicht umsonst war sein "Spirit" das Album des Jahres 2000 in den europäischen Weltmusikcharts. Und obwohl bereits zu Oryemas zweitem Song der eitle Gabriel auf die Bühne drängt, zählt sein kurzer Auftritt sich zu den seelenvollsten dieses Konzert-Mitschnitts.
Zu den bekannteren Musikern zählen auch Thomas Mapfumo, der "Löwe von Simbabwe", oder Daara J: Vor dem wieder eher bemühten großen Finale mit Feuerwerk beweist der Senegalese wieder einmal, dass sozialkritische, politische oder spirituelle Inhalte sich bestens mit tanzbarem und melodischem Hip Hop vertragen.
Dagegen spulen Berühmtheiten wie Angélique Kidjo oder Youssou N'Dour ihr Programm herunter, ohne dass ein Funke überspringt. Überhaupt hat man bei mehreren Künstlern den Eindruck, dass Auftritte mit zwei oder drei Songs gerade bei dieser lebendigen Art Musik, die doch stets auf die Begeisterungsfähigkeit des Publikums setzt, nicht funktionieren können. Bevor jemand halbwegs warm werden kann, zieht die Regie schon wieder die Stecker raus, um irgendeinen neuen Star anzukündigen oder eben eine Rede.
Gut, der stets von Zeitmangel geplagte laut.de-Redakteur darf sich erlauben, etwa Nelson Mandelas Rede in vierfacher Geschwindigkeit ablaufen zu lassen, so dass er die lobenswerte Untertitelung bequem mitlesen kann. Neues hat Mandela nicht zu sagen, wie denn auch. Während andere Sprecher mit gutem Grund den Abbau von Handelsschranken als wichtigsten Beitrag des Westens gegen die Armut Afrikas fordern, scheint Mandela allen Ernstes große Hoffnungen in das unmittelbar bevorstehende G8-Treffen zu setzen. Darüber ließe sich natürlich trefflich streiten, wie über die Frage, ob "Calling Africa" nicht zusammen bringt, was nicht zusammen gehört. Den Hörgenuss hätte die Trennung in einen musikalischen und einen dokumentarischen Teil jedenfalls befördert.
Zweifellos gibt es andere, direktere Wege, sich gegen die Armut zu engagieren. Wer sein Gewissen aber vor Weihnachten schnell und günstig erleichtern will, dem sei der Kauf dieser wegen ihrer musikalischen Vielseitigkeit auf alle Fälle hörenswerten DVD ausdrücklich empfohlen.
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