laut.de-Kritik
Schlimmfonie oder Sinfonie?
Review von Yan TemminghoffDie Qual, der Stahl. David DeFeis strapaziert mit seiner Vision des Metals in Form der progressiven US-Metal Traditionsverfechter Virgin Steele seit nunmehr vierzig Jahren die Nerven der Hörerschaft. Wie einst Arnie als Terminator schickt er sich alle Jahre an, in den Stahl herabgelassen zu werden. Wenn er dies tut, dann voller Pathos, Brimborium und Überzeugung.
Pate für die Lyrics auf der aktuellen Langrille "The Passion Of Dinoysus" ist gleichnamige griechische Gott des Weines, der Wollust und Wahnsinns. Also das, was Wolfgang Petry für die Schlager-Generation der Nuller Jahre gewesen ist. In Bayern lebt der Streit zwischen dem Apollinischen und Dionysischen im Oktoberfestkult weiter, heißt es doch mal das Maß und mal die Maß.
Die innere Zerrissenheit und Dualität sowie das ewige Sterben und Werden, die mit dem Gotteskult verbunden werden, bieten die perfekte Projektionsfläche für den unkonventionellen Metal-Philosophen David DeFeis. Dass das Verständnis für seine Ansichten ins Leere laufen kann, liegt in der Spaltkraft begründet, die voll Inbrunst vorgetragener Metal mit sich bringt.
Meiner Einschätzung nach ist der Hero der Achtziger ("Noble Savage") noch längst nicht am Nullpunkt angelangt. Um in den Genuss der spannenden Songs zu gelangen und an der göttlichen Komödie DeFeisscher Prägung teilzunehmen, muss zunächst der spezielle Sound Erwähnung finden.
DeFeis folgt keinem Weg, wie ihn Tue Madsen oder Jens Bogren geebnet haben. Er schraubt sich seine höchst eigenwillige Klangfantasie einfach zusammen. Da wären zunächst die unzähligen Programmings und Sound-Libraries, die zwar über die Jahre an Klangqualität gewonnen haben, ihre digitale Herkunft jedoch nicht verleugnen können.
Die Drums folgen zwar den zahllosen Brüchen und Tempi-Wechsel, sind dabei klanglich eindimensional und platt gestrickt. Der Gesang steht extrem weit im Vordergrund. Dabei schichtet der Frontmann etliche Facetten und Ausdrucksformen übereinander. Die Gitarren zirpen meist bedächtig im Hintergrund und springen nur in besonderen Momenten nach vorne. Edward Pursino ist ein begnadeter Gitarrist, dessen ehemals tragende Streitaxt nurmehr als Akzidenz und instrumentale Farbe Verwendung findet.
Man muss sich DeFeis auf dem Produzentenstuhl vorstellen, der minutiös der Stimmung folgt und die Regler wie ein Kind bedient und keine ganzheitliche klangliche Vision umsetzt. Schlimmfonie oder Sinfonie, das ist hier die Frage. Die Beschränkungen können Fluch und Segen sein. Kam "Noble Savage" mit seiner klassischen Vinyl-Spielzeit von 45 Minuten auf den Punkt, reizt die Stahlschmiede das Medium Compact Disc konsequent aus.
Auf 79 Minuten Spielzeit rollt DeFeis seine Ideen aus, die in den meist überlangen Songs Raum zur Entfaltung bekommen. Ob metallisch geschmiedet ("Spiritual Warfare", "A Song Of Possession"), mit deutlichem New Wave Of British Heavy Metal-Bezug ("The Gethsemane Effect") oder theatralisch inszeniert, mit klassischen Einsprengseln ("You'll Never See The Sun Again", "Unio Mystica"), stets legen die Amis großen Wert auf Überwältigung, fordern jedoch die Geduld ein, sich auf die außergewöhnliche Melange einzulassen.
Es lohnt sich, den Metal mit Prog-Bezug zu goutieren. Damit generiert man heutzutage kein Following, geschweige denn landet man auf den Besten-Listen der Metal-Magazine. Wer sich die Mühe macht, hinter die Pappmaché-Klangkulisse zu linsen, entdeckt sorgsam strukturierte Songs mit Seele und voller Leidenschaft. Dionysus klatscht Beifall vom Olymp.
1 Kommentar
Schön, zur Abwechslung mal eine differenzierte Kritik zu einem neuen Virgin Steele Album zu lesen.