laut.de-Kritik
Deutsche Texte treffen auf einen warmen, britischen Sound.
Review von Benjamin FuchsSeit der "Flut"-Ep ist bekannt, dass hinter Voltaire eine äußerst begabte Band steckt, die ihr Publikum mit intensiv rockenden Songs zu packen weiß. Die Frage im Herbst 2004 lautete: Wann kommt denn endlich das Album? Jetzt, im Frühjahr 2006, liegt die Antwort vor - sie heißt "Heute Ist Jeder Tag" und rechtfertigt die lange Zeit des Wartens spielend.
Um Politik oder hohe Philosophie, wie man dem Namen nach meinen sollte, geht es Voltaire nicht, sondern darum, Stimmungsbilder zu erzeugen, Gedanken und Gefühle in die Welt zu schleudern. Sänger Roland Meyer de Voltaire benutzt dazu einfache Wörter und kraftvolle Bilder, lässt leere Fenster schreien, Plätze und Menschen in Schutt und Asche legen. Er formt die Verse zu Texten, die auch für sich genommen Lyrik sein können. Nicht alles erschließt sich Wort für Wort, stattdessen wirken die Zeilen wie die Einladung, an einer Stimmung teilzuhaben und sie im Kopfkino fortzuspinnen.
Der von leichten Pianoakkorden und gezupfter Gitarre getragene Song "Stille" wirkt wie der Wunsch nach einer ruhigen Insel in einer hektisch pulsierenden Welt. Das Stehenbleiben auch mal als Fortschritt zu sehen, alles vorbei rauschen zu lassen, um sich selbst schließlich wieder mit Lust in den Strom zu stürzen.
"Asche" und "Flut" erscheinen wie zwei Teile von ein- und derselben Geschichte. Während "Flut" die Geschichte einer schmerzhaften Trennung erzählt, steht "Asche" für die Fortsetzung, in der es um den Prozess der Verdrängung geht. Ersteres ein Stück, das sich langsam in ein atemberaubendes, wirres Gitarrensolo hinein steigert, "Asche" ist dagegen insgesamt etwas leiser, legt aber gegen Ende an Dringlichkeit und Intensität zu. Eigentlich müssten sie andersherum angeordnet sein.
Wie es aussieht, gefällt die gepflegte Steigerung Voltaire überhaupt ganz gut. Viele Lieder beginnen langsam und leise, um sich in ihren Verläufen zu lauten, manchmal lärmenden Rocksongs zu steigern. Meyer de Voltaires Stimme schwankt dabei scheinbar spielend zwischen lakonischem Ausdruck und dramatisch anmutendem, feinem Kopfstimmengesang. Gitarren und Keyboards suhlen sich auch mal gerne im Dreck. Obwohl man merkt, dass jeder der Musiker sein Instrument blind beherrscht, sind die Songs kein Schaulaufen technischer Fähigkeiten. Jeder Musiker stellt sich in den Dienst der Band und des Stückes.
Regelrecht poppig ist "Augen Zu" mit seinen sanften Streichern geraten, lediglich die Gitarre bricht hin und wieder mit Distortionsounds in die Ruhe der Strophe ein. Die erste Single, kein Wunder - und ein schöner Song.
Deutsche Texte und dennoch ein Sound, der nach großer Musikwelt klingt, warm und britisch, nicht nach Bonn Bad Godesberg. Man scheut sich, Vergleiche mit anderen Bands anzustellen, denn irgendwie passt das alles nicht. Voltaire haben etwas Eigenes, Einzigartiges und vor allem etwas Zeitloses.
"Heute Ist Jeder Tag" ist ein Album, nach dessen Hören man sich bereichert und ein Stück freier fühlt - vorausgesetzt, man kann sich mit der teils ungewöhnlichen Stimme von Roland Meyer de Voltaire arrangieren. Wenn nicht? Pech gehabt.
8 Kommentare, davon 7 auf Unterseiten
Ich war von der Platte sehr positiv überrascht. Empfehlenswert!