laut.de-Kritik

Genie und Wahnsinn, Pop-Olymp und Autoscooter.

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Was zum Teufel geht eigentlich im Köpfchen von Rivers Cuomo vor? Man kann trefflich darüber streiten, wann genau Weezer sich entschlossen haben, nur noch schlechte bis halbgare Longplayer zu veröffentlichen (nach "Make Believe" möglicherweise). Dass es sich jedoch so verhält, möchte (hoffentlich) niemand bestreiten. Das liegt natürlich nicht daran, dass der feine Herr Cuomo das Songschreiben gänzlich verlernt hätte. Kreative Blockade und so, Sie wissen schon.

Nein! Den Beweis, dass er es eigentlich noch kann, liefert er immer wieder selbst, wenn plötzlich zwischen einem Haufen musikalischem Milchreis mit Zimt und Salz ein kleiner, hübsch funkelnder Diamant auftaucht. Dann freuen wir uns, seufzen sehnsüchtig und denken an bessere, grüne und blaue Weezertage und holen doch einmal mehr die alten Scheiben aus dem Plattenregal.

So muss man - fast erwartungsgemäß - konstatieren, dass auch das neueste Machwerk nicht ganz an die Qualität der ganz großen Momente der Band heranreicht. Doch von der Bodenlosigkeit einer "Raditude" bleibt "Hurley" glücklicherweise meilenweit entfernt. In Foren sprechen (offensichtlich hartgesottene) Weezer-Fans gar von einer "tollen Platte". Nun ja. Aber sie hat immerhin mehr helle als dunkle Momente. Ein oder zwei Burner lassen sich wohl auch finden.

Ein solcher hätte die erste Singleauskopplung und Opener der Scheibe, "Memories", unter Umständen werden können. Nachdem das Ohio Synfonie Orchester seine Geigen und Bratschen schön eingestimmt hat, geht hier nämlich in der Strophe alles klar. So ähnlich klang der Weezersound auf der damals weithin unterschätzten "Pinkerton". Was dann im Refrain kommt lässt sich jedoch allenfalls mit Kirmes-Stadion-Quatschrock umschreiben und konterkariert den verheißungsvollen Beginn leider gänzlich.

Derart vorgewarnt bedeutet es eine kleine (oder große?) Erlösung, dass bei den folgenden "Ruling Me" und "Trainwrecks" nicht nur die Strophen, sondern auch die Refrains aus einem Guss bestehen. Dies ist dann auch schon die beste Phase der Platte, zwei "echte" Weezer-Singalong-Goodies, die zwar schon irgendwie kitschig, aber halt auch ziemlich uplifting ausfallen. So könnte es eigentlich weitergehen.

Tut es auch fast. Einer schlecht gesungenen (ja, das ist einfach bewusst schlecht gesungen, nicht zerbrechlich oder sensibel oder sowas) Akkustik-Klampfen-Ballade, die sich am Ende noch ganz kurz in ziemlich lustiges Schwulstrockwohlgefallen auflöst, folgt ein weiterer echter Weezer.

"Where Is My Sex?" hat alles ein Weezersong braucht. Sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Okidoki. "Run Away" hingegen ist dann wieder ein Fall, bei dem man bei sich denkt, dass da ein guter Songansatz verschenkt und routiniert mit Augenzwinkern (oder echter Schlagsahne) zugemüllt wurde. "Tonite, tonite, tonite, wooohooooho", na ja.

Viel, viel besser funktioniert "Hang On". Hoppla. Da geht der gemütliche Hurley plötzlich ganz schön ab. Catchy as fuck, in der Tat, da darf die Stimme auch mal kurz vor dem Umkippen stehen. So macht der Stadionbesuch endlich mal wieder richtig Spaß. Alles, das bei einigen anderen Stücken irgendwie nervt, das ganze Pathosdingens, die Chöre, die musikalischen Gags: Hier passt es. Um nur einen Skip später bei "Smart Girls" wieder zu ziemlich nerven ... "Brave New World" wiederum ist okay.

So nah liegen die Dinge halt manchmal beisammen - Genie und Wahnsinn. Pop-Olymp und Autoscooter. Rivers, der coole Typ, und Cuomo, der bärtige Misanthrop. Der seine eigene Musik absichtlich dämlich macht, um bloß nicht zu gefällig zu wirken. Und dann wieder so arschglatte Gesangslinien rausbringt, dass das Gehirn abzurutschen droht.

Manchmal fragt man sich dann: Soll das wirklich witzig sein? Ist es witzig, "Time Flies" derart vereiert und verleiert aufzunehmen, dass der Song schlichtweg Kopfschmerzen verursacht? Abgesehen davon, dass er auch in ordentlicher Soundqualität nicht gerade eine Offenbarung darstellte ...

Bleibt zu vermelden, dass unter den Bonus-Tracks mit "All My Friends Are Insects" ein wirklich witziger und gute Laune verbreitender Dadaistenpunkrockzwitscherer aus dem Nichts erscheint und 1:52 später wieder verschwindet. "Viva Vida" brauche ich persönlich weder von Coldplay noch von Weezer. Egal, Schwamm drüber. Insgesamt ist "Hurley" ein durchwachsenes, aber durchaus ordentliches Album geworden. So ordentlich sogar, dass man fast denken könnte, da geht irgendwann nochmal so richtig was.

Trackliste

  1. 1. Memories
  2. 2. Ruling Me
  3. 3. Trainwrecks
  4. 4. Unspoken
  5. 5. Where's My Sex?
  6. 6. Run Away
  7. 7. Hang On
  8. 8. Smart Girls
  9. 9. Brave New World
  10. 10. Time Flies
  11. 11. All My Friends Are Insects
  12. 12. Viva La Vida
  13. 13. I Want To Be Something
  14. 14. Represent

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