laut.de-Kritik
Von Immigranten und Immigrantinnen.
Review von Markus BrandstetterRund zwölf Millionen Immigranten und Immigrantinnen kamen zwischen 1892 bis 1954 über Ellis Island in die Vereinigten Staaten von Amerika. Ellis Island als Sehnsuchts- und Durchgangsort, Geschichten vom Suchen, Ankommen und Nichtankommen: Damit befasst sich der französische Künstler JR in einem fünfzehnminütigen Dokumentarfilm, in dem Robert De Niro die Rolle des Erzählers übernimmt. Den Soundtrack dazu schuf Yoann Lemoine alias Woodkid, der sich als Co-Schreiber und Performer den Berliner Pianisten und Komponisten Nils Frahm an Bord holte.
Die Musik auf "Ellis" zeichnet die Entschleunigung der schwarz-weißen Bilder des Films nach. Das heute längst verlassene Ellis Island, durch das De Niro von Raum zu Raum geht, die Hoffnung und Hoffnungslosigkeit: Sie findet in einer sich langsam aufbauenden Klavieretüde ihren Wiederhall, im ersten von zwei Stücken, "Winter Morning I".
Vom thematischen Kontext losgelöst funktioniert "Ellis" nicht unähnlich zu anderen Ambient-Arbeiten Frahms: Alles baut sich langsam und wiederholend auf, die Klaviermelodien geraten spärlich, gewinnen immer weiter an kleinen Facetten. Darunter und darüber legen sich Rauschen, Geräusche, Surren und Zirren, Bewegung und Zerstreuung. Bruchstücke fügen sich nach und nach zusammen, aus rudimentären Arpeggions bauen sich substanzielle Melodien auf.
Eine Glocke leitet den zweiten, längeren Teil von "Ellis" ein. Ein Drone erklingt, ähnlich der Glocke des im Hafen ankommenden Schiffes. Sie zieht sich länger hin, dann setzt die Stimme von De Niros ein. Den Text schrieb Oscar-Preisträger Eric Roth, der unter anderem das Screenplay für "Forrest Gump" verantwortet.
Alles konzentriert sich auf die Geschichte des Aufbruchs, die Musik bleibt stehen, einzig besagte Drone bleibt als Konstante. "There were so many winters", sagt De Niro, dann baut sich nach und nach eine klagendes Harmonium auf, das sich in Mollklängen ergießt, auf- und abschwillt. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich "Winter Morning" ab.
"Ellis" unterstreicht die langsame, tiefe Melancholie der Bilder. Spärlich und filigran, meditativ und beklemmend ist dem Duo Woodkid und Frahm Musik zwischen Zurückhaltung, Dramatik und Pathos geglückt, die auf einer weitere Zusammenarbeit der beiden hoffen lässt.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Überwiegt mein Interesse an Nils Frahm oder mein Desinteresse an Woodkid um hier reinzuhören?
"Den Soundtrack dazu schuf Yoann Lemoine alias Woodkid, der sich als Co-Schreiber und Performer den Berliner Pianisten und Komponisten Nils Frahm an Bord holte." lässt mich eher zu zweiterem tendieren.
+1
Hab reingehört - das klingt mehr nach Nils Frahm