laut.de-Kritik
Diese Haut ist kaum mehr als ein blankes Gerippe.
Review von Yannik GölzEs ist nahezu unmöglich, an diesem Punkt noch unbefangen gegenüber XXXTentacion zu sein. Die eineinhalb Jahre, die er im Mainstream verbracht hat, stehen von der ersten bis zur letzten Sekunde in einer dicken Staubwolke des Dramas. Drama zu seiner Person, Drama zu seinen inzwischen mehr oder weniger bestätigten Taten, Drama um seine Kunst und nicht zuletzt auch Drama, das sich stets in seiner Musik niedergeschlagen hat.
Keines seiner Projekte klang wie eine Vollwertige LP. Sei es das skizzenhafte "17", die vier Track starke "A Ghetto Christmas Carol"-EP oder das wirre, inkohärente "?". Immer waren es nur Lichtblicke eines immensen Potentials, die sich hinter einer Unruhe und einer unausgereiften Art verbargen. Nichtsdestotrotz passt das nun posthum erschienene "Skins" damit auf eine groteske Art perfekt in seinen chaotischen Katalog.
Die zehn Titel und etwa zwanzig Minuten Musik grenzen beizeiten an Grabraub. Dass Empire Records hier versucht, mit Versatzstücken aus bisherigen Sessions so schnell und so effizient Geld aus der Marke XXXTentacion zu schlagen, bemerkt auch ein Blinder mit Krückstock. Das Ergebnis fällt gewohnt aus: Ein paar Lichtblicke stehen gegen andere Songs, die man dafür jedoch nicht einmal wirklich als solche bezeichnen kann.
"Won't look back on my mom/ Won't let back I must shine/ Won't let you cloud my mind/ All my days, I was cryin'/ All my lows all my highs/ Told my Mom, 'I'm gon' shine'/ To my love, 'I'm gon'.../" ist kein Auszug aus einem Verse, sondern die kompletten Lyrics zu "Woah (Mind In Awe)". Der ist auch kein Interlude, sondern mit 2:37 Minuten Spielzeit die drittlängste (!) Nummer der Platte.
Der Song nimmt ein Cubeatz-Loop, auf dem X offensichtlich eine Skizze für einen Song angefertigt hat, und verkauft ihn mit angetackerten "Oh-Oh-Ohs" als vollwertiges Produkt. Wie offensichtlich dieser Song nicht fürs Tageslicht gedacht war, kann man daran ablesen, dass derselbe Cubeatz-Beat schon vor einer Weile offiziell von Rich The Kid berappt wurde. Bedenkt man, dass das Marimba-Synth-Geklimper ohnehin kein Meisterwerk darstellt, zeigt sich, welch großes Tennis hier gespielt wird.
Der viertlängste Song der Platte birgt ähnliche Substanz. Der Schlusstrack "What Are You So Afraid Of" bringt es nämlich gerade einmal zu stattlichen zwei Zeilen auf zweieinhalb Minuten: "What are you so afraid of?/ Is it love or wasting your time?/ Ooh-ooh, ooh-ooh/ Ooh-ooh, ooh-ooh/". Produzent John Cunningham versucht zwar mit allen möglichen Produktionstricks, so etwas wie einen Song aus diesen Vocals zu machen, das Ergebnis gerät dennoch denkbar langweilig.
Zum Glück enden andere Versuche, kurze Vocal-Recordings zu ganzen Stücken zu schminken, zumindest einigermaßen unterhaltsam. Auf einem Nu-Metal-Loop, der Limp Bizkit zu doof wäre, darf Kanye West herhalten, um die zwei Drittel des Songs zu berappen, für die man wohl keine X-Vocals mehr parat hatte. Ignoriert man dessen Hymne auf das Victim Blaming inhaltlich mit aller Vehemenz, kann man durchaus einen Song heraushören, der in seiner Blödheit irgendwie eingängig ist.
Grundsätzlich zeigt sich, dass die Metalcore-Vocals von X auf Songs wie "One Minute" oder "Staring At The Sky" überraschend potent daherkommen. Genauso gibt es mit "Guardian Angel" und "Train Food" noch einmal Songs, die tatsächlich das Potential des Rappers XXXTentacion illustrieren. Gerade Letzteres überzeugt mit eindringlichen und beklemmenden Formulierungen in einem Storyteller über eine metaphorische Begegnung mit dem Tod, die im Anbetracht des realen Kontextes der Platte nur noch morbider wird.
Es ist ja nicht so, als hätten Projekte wie "Kids See Ghosts", Earl Sweatshirts "Some Rap Songs" oder Tierra Whacks "Whack World" dieses Jahr klar und deutlich gezeigt, wie viel Potential eine Verkürzung von Rap-Alben hat. Dafür braucht es aber umso mehr Planung, Dichte und kohärentes Songwriting. Dafür hat XXXTentacion offensichtlich nicht mehr genug Material hinterlassen. Seine Hinterbliebenen sahen aber offensichtlich kein Problem darin, eine bessere Demo-Collage als vollwertiges Album zu verkaufen. Natürlich kann man auch hier wieder beizeiten heraushören, wozu X theoretisch in der Lage gewesen wäre. Aber für ein Album, das man nach Haut benannt hat, ist dieses Machwerk kaum mehr als ein blankes Gerippe.
2 Kommentare
Da das Werk in seiner Skizzenhaftigkeit trotzdem so manche "Vollwert"-Produktion aus 2018 aussticht, hat es Mmn. 3 Sterne verdient. Konnte es ohne großes Gruseln durchhören, was heutzutage eher seltener gelingt. Posthume Alben sollten allgemein nicht passieren. Fühlt sich immer irgendwie nach Grabschändung an...
Zum Teil ziemlich schlecht informiert.
1. Niemals wurde seine Schuld/Unschuld bewiesen.
2. Ist derselbe Beat von Rich the Kid bei "don't let go" verwendet worden und nicht bei "woah". Anmerken sollte man auch, dass vor X und nach Rich sogar Jadon Smith den Beat verwendet hat und dieser Beat offensichtlich vom Creator an mehrere Producer geschickt worden ist.
3. X's DJ/Kollege (DJ Sheme) hat gesagt, dass das Album schon vollständig war als X noch am leben war.. Ob das stimmt weiss man natürlich nicht aber man hört X auf einem Video wie er sagte "er will dieses Album sehr kurz machen"
Abschliessend kann man sagen, dass dieses "Album" (bin trotzdem bei euch sollte eher eine EP sein) nichts für die Masse ist und nur von den Core-Fans richtig gefühlt werden kann.