laut.de-Kritik
Depression und sexuelle Erniedrigung mit wunderschönen Melodien.
Review von Matthias MantheSelbsterkenntnis gilt vielen mehr als der berühmte erste Schritt zur Besserung. Bestimmte Religionen wollen uns gar lehren, sie sei ein Lebensziel. Bald sucht man jene spirituelle Ebene zu erreichen. Dann rotieren Xiu Xiu im Player – und machen schlagartig nüchtern. Ein Gedanke verführt: Vielleicht ist ein bequemes, unreflektiertes Dasein doch nicht die schlechteste Wahl.
Jamie Stewarts Poesie überfüllt den Begriff "Vergegenwärtigung" geradezu, ohne aber diesem an seiner Existenz verunglückten Exzentriker eine Erlösung aus den Qualen zu ermöglichen. Wissen, wer, was, wie man ist, und genau deshalb nicht gut leben können: Was kann brutaler sein? "Lonliness isn't being alone / it's when someone loves you / and you don't have it in you / to love them back".
"The Air Force" bedeutet für Künstler wie Zuhörer erneut akustische wie lyrische Marter. Katharsis ohne Befreiungseffekt. 30 Sekunden hat das Klavieridyll Bestand, bevor die Peitsche der Selbstgeißelung durch Fleisch und Bild schneidet. In Schall ausgedrückt: sparsamste Percussion mit maximaler Wirkung. "I'm not like that".
Durch sein trauriges Schattenreich kriecht Stewart jedoch nicht länger allein. Cousine und Mitmusikantin Caralee McElroy trällert sich, das Glockenspiel unterm Arm, durch ihr Lied gewordenes Liebesgeständnis "Hello From Eau Claire". In Wahrheit ein lediglich niedlich-naiv verpacktes Portrait sexueller Erniedrigung: "I can humiliate myself to your face".
Rostige Objekte schrammen über Mikrofoneingänge, "Army Of Me"-Bässe verteilen geflötete Noisekaskaden in sämtliche Himmelsrichtungen ("Boy Soprano"). Und doch: Raumklang, Kammermusik. Später demonstriert die Autoharp, wie unendlich einsam ein Sonnenaufgang klingen kann. "The red sun rises and sadness is still in print".
Depression durchdringt auch auf Album Nummer fünf wieder jeden schiefen Takt. In alle Bitterkeit eines unwiderbringlichen Außenseiters mischen sich aber allenthalben wunderschöne Melodien. In "The Pineapple Vs. The Watermelon" etwa spendet eine unsagbar melancholische Gitarrenlinie Hoffnung im suizidalen Dunkel. "Can I pray for your return?". Dem ist nichts hinzuzufügen.
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