laut.de-Kritik
Melancholischer 80s-Pop, zeitgemäß umgesetzt.
Review von Michael SchuhXul Zolar sind in Partystimmung und holen die Luftschlangen raus. Wer das neue Albumcover auf diese Weise deutet, könnte nicht weiter daneben liegen. Der bedächtig-melancholische Start mit "MSCI" erinnert eher an den Moment, wenn man nach langer Zeit mal wieder gedankenverloren irgendeine Schranktüre öffnet, dort dieses Party-Utensil vorfindet, und sich für den Bruchteil von Sekunden fragt, wofür das früher einmal verwendet wurde.
Wie bei vielen anderen kleineren Bands fragten sich im Frühjahr 2020 auch Xul Zolar, wie es denn jetzt weitergehen soll. Nach dem Debütalbum "Fear Talk", der Folge-EP "Nightfalls" und einer kleinen Tournee sollte das zweite Album-Projekt voller Tatendrang angegangen werden. Stattdessen wurden Party- und Kontaktverbote Normalität und die Kölner fragten sich: Sollte man in diesen Zeiten noch als Indie-Band Musik veröffentlichen? Interessiert sich überhaupt noch jemand für diese Band?
Es ist ein großes Glück für uns alle, dass das Quartett auf diese Fragen die richtige Antwort gefunden hat. "The party is over" wussten zwar schon Talk Talk, aber Xul Zolar machen das Beste draus. Sänger Ronald Röttel singt wehklagend wie immer von "no guarantees", was solle er sonst tun, er habe eben "nowhere else to go", während die vorsichtig fröhliche Bassline einen wohligen Kontrapunkt zu den eisigen Synths setzt.
Ihre Nähe zum Soul kommt im waidwunden "Closure" zum Tragen, bevor das Tempo in "Plans" anzieht, quasi als Einstimmung auf das vorzügliche "Night": Ein wunderschöner Clubtrack mit leichter New Order-Reminiszenz, gemeinsam in Watte gepackt mit dem Kölner Produktionsduo Coma. Der Bassdrum dürften sie gerne häufiger einen prominenten Platz einräumen.
Was "Heidelbach" von "Fear Talk" unterscheidet, ist einerseits eine wärmere Grundatmosphäre sowie eine noch stringentere Hinwendung zum Pop-Refrain, glänzend herausgearbeitet in "Before" und natürlich in "Tell Me", dem besten Song des Albums. Hier übertreffen die Kölner ihr ohnehin schon hohes Songwriting-Niveau selbst: Schwer vorstellbar, dass dieser Song nicht auch begeisterte Konzertbesucher in London und Barcelona mit Tränen vor Rührung zum Merchandise-Stand hecheln lässt. Kommt hoffentlich noch.
Coverversionen haben Xul Zolar aufgrund zu zahlreicher eigener Ideen nicht im Programm, daher stammt "Only You" auch nicht von Yazoo, sondern tut genau das, was nach einem Übersong wie "Tell Me" nötig ist: Eine elegische Schauer-Ballade voller Sehnsucht holt einen nach einem verträumten 80s-Trip zurück in die triste Realität, die man angesichts der tröstenden Stimmung gerne in Kauf nimmt.
Xul Zolar zeigen auf "Heidelbach" erneut eindrucksvoll, wie spannend melancholischer Synthie-Pop klingen kann. Ähnliches erwarten Millionen von Fans von der kommenden Depeche Mode-Platte. Das Gute liegt manchmal näher als man denkt.
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