laut.de-Kritik
Zweites Album, zweiter Klassiker.
Review von Stefan JohannesbergYG als neuer Pac? Da Kendrick sich ja unbedingt "musikalisch weiterentwickeln" musste, brauchen wir gemeinen Rap-Fans für K-Dots Ergüsse mittlerweile Abitur und historisches Musikwissen. Das stört am Strand.
Ebenfalls Genervte greifen für den anspruchsvollen Sommer, Palmen, Sonnenschein-Soundtrack daher zu YG, denn: YG pumpt auf "Still Brazy" wieder Blut wie beim Roten Kreuz. Kein Künstler jenseits von DJ Quik findet einen so vielschichtigen wie knallharten G-Funk-Sound (Nein, auch des Doctors "Compton"-Gedöns nicht). Aber: Kein Künstler seit Mr. Shakur positioniert sich auch so gekonnt als smarter und sozialkritischer Straßenrapper.
Gleich die erste Single "Twist My Fingaz” vereint alle Stärken von Keenon Jackson. Über ein wummerndes Westcoast-Monster klimpert Produzent Terrace Martin ein paar zarte, frische Melodien, während YG skillgewaltig aus seinem Leben erzählt. "Hold up, I really got something to say / I'm the only one who made it out the West without Dre / I'm the only one that's about what he say / The only one that got hit and was walking the same day". Nebenbei zitiert er sich traumwandlerisch durch Eminem ("Got two mothafuckas wanna fight me outside / Fight me outside, fight me outside") und Eazy-E ("Never see them in the hood only see them in the club"), als wären es Brüder, nicht nur im Geiste. Kein Wunder, dass Power 106 den Tune bereits im Sommer 2015 bis zu 17 Mal am Tag spielte.
Im nachdenklichen "Who Shot Me" geht er den bis heute unbekannten Gründen für den Mordversuch im Juni 2015 in den San Fernando Valley Recording Studios auf den Grund und sucht gar im engsten Freundeskreis: "I'm like, 'Damn, did the homies set me up?' / Cause we ain't really been talking much / I know that sounds sick, my thoughts dark as fuck / Like the barrel of the pistol I saw when he sparked it up".
Selbst DJ Mustard, seinen damaligen Partner in Crime und kongenialen Beatbastler des Debüts, verdächtigt YG kurz. Neben musikalischen Differenzen führte dies zum Split, auch wenn die beiden sich beim Coachella Festival ein Jahr später wieder versöhnen. Logischerweise sucht man Mustard auf "Still Brazy" vergeblich auf den Beats.
YG schlägt mit "Who Shot Me" geschickt die Brücke zu 2Pac, der 1994 in den Quad Recording Studios in New York angeschossen wurde. Als Vorbild für Hook und Songidee von "Who Shot Me" dient ihm natürlich Notorious BIGs "Who Shot Ya", in dem sich Biggie direkt auf den Anschlag bezieht und der als Brandbeschleuniger für den tödlichen Beef der beiden gilt: "Who shot ya? Separate the weak from the obsolete / Hard to creep them Brooklyn streets / It's on, nigga, fuck all that bickering beef / I can hear sweat trickling down your cheek".
Für beide, Pac und YG, ist die Welt danach eine andere. Sie werden paranoid; YG beschreibt das im Interview mit LA Weekly so: "Ich mache nicht viel anderes außer Musik. Die Wichser wissen nicht wirklich, wo ich mich aufhalte und ich vertraue niemandem".
Bereits 24 Stunden nach der Schießerei humpelt YG jedoch wieder aus dem Krankenhaus. Er schließt sich sofort im Studio ein, schwört im Gegensatz zu Kollegen wie Problem der Mixtape-Manie ab und macht sich rar wie Dateien. Wie früher feilt YG für "Still Brazy" lieber an den kleinsten Details: "Ich schaue, ob das Gefühl und die Stimmung passt. Funktionieren Songs, Sounds und Texte als Einheit?".
Das Resultat ist lyrisch und musikalisch auch auf dem weiteren Albumverlauf beeindruckend. Ohne zu predigen oder an Coolness zu verlieren, spricht YG über Polizeigewalt ("Police Get Away With Murder") und dieselben, alltäglichen Probleme von afro- und spanischstämmigen Menschen ("Blacks & Browns"). Er wird politisch im berühmt-berüchtigten "Fuck Donald Trump", verteilt klare Ansage an alle Wannabe-Gangbang-Romantiker ("Don't Come Around Town") und kanzelt nuttiges Verhalten "She Wish She Was" gnadenlos ab.
Im Studio immer an seiner Seite: Terrace Martin. Als Executive Producer sorgt der Multiinstrumentalist mit seinen feinsinnigen Ideen und klug gesetzten Harmonien für die nötige Freshness auf dem funky-fetten Fundament von DJ Swish und CT Beats. Martin ist als Teil von Kendricks "To Pimp a Butterfly" und YGs "My Krazy Life" auch das verbindende Element zu den wichtigsten Westcoast-Alben der letzten Jahre, zu denen "Still Brazy" definitiv zählt. Sein Urteil spricht für sich: "YG ist das Yin zu Kendrick Lamars Yang. Er hat seinen eigenen Style und wird immer besser. Er repräsentiert die Kultur und ist einer besten Künstler, mit denen ich je gearbeitet habe."
Fazit: Zweites Album, zweiter Klassiker – 2Pac-Spirit inklusive.
10 Kommentare mit 11 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Mit Leichtigkeit die 90er im Blut nebenbei heraufbeschworen und sie auch in 2016, ohne nostalgische Momente zu erzwingen, absolut salonfähig gemacht
Schöne Review, der ich - bis auf den "Compton"-Seitenhieb - voll und ganz zustimmen kann!
Das Teil ist auch ohne DJ Mustard mindestens auf Augenhöhe mit dem Debüt und locker eines der großen Highlight des Jahres. Klassiker-Potential ist definitiv vorhanden. Von der teilweise sehr ernsten Thematik abgesehen ist es halt auch einfach mal wieder ein Westcoast-Album, das man gut beim Grillen oder am Strand auflegen kann. Tut gut.
P.S.: Auf Deutsch hieße das Album übrigens "Immer noch bräsig".
Titel das Jahres.
"Imma no' bräsig" vom Mundartrapper Brüser Berga Banger, kurz BBB.
Wow witzig du dummer hurensohn
Yowaslos, allah! Schön, dass mein joke dir gefällt.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Nicht, dass ich hier irgendwem in die Parade fahren will, weil finde beide Beitraege högschd lustig. Aber: weder in Bonn, noch in der Eifel wuerde man "Imma no' braesig" sagen. Rheinisch und Oecher Platt hoeren sich anders an.
Fuer den Strand ist das Album doch etwas zu schwer so wie Wale, finde ich. Thematisch getz.
Habe es erst 1x gehoert, gebe aber trotzdem schon 5/5. Blood halt.
mundanus, Kollege, wir muessen uns mal unterhalten. Du hoerst mir in letzter Zeit ungewoehnlich viele irrelevante Sachen (Kodab Black?!). Wenn du jetzt noch bald anfaengst, bis zum Bersten aufgeplusterte Rezis zu schreiben und dem Anwalt die Rosette puderst, koennen wir keine homies mehr sein.
Hahaha, das wird nie passieren
Kodak kannte ich ehrlich gesagt gar nicht, aber finde, er hat wirklich Potenzial.
Würde ihn nicht direkt abschreiben, auch wenn er mit Sicherheit noch lange nicht an die Leute herankommt, mit denen er sich selbst gerne vergleicht.
Solltest mich eher für LGoony, Ignaz und Konsorten haten.
Fand den wirklich sehr farblos (npi). Genauso auch Desiigner, hast du dir das Ding denn wirklich mehr als 1x angehoert? Das sind bloss 36 Minuten, ich hatte schon nach 4 tracks keinen Bock mehr.
Ich glaube, abgesehen vom Toriyamafan, der ja hinlaenglich fuer seine Musikpaedophilie bekannt ist, macht ihr da alle nur eine Phase durch mit diesen Kindern.
Zu Desiigner kam ich noch gar nicht, war aber selbst bisher auch kein Fan von ihm. Glaube ich dir also gerne, dass das Album zum 1x Hören und wieder vergessen ist.
Ich lasse zur Zeit nur so viel Musik durch, da freue ich mich über jeden potentiellen Kandidaten. Ist teilweise echt schwer, noch meinen Fix zu bekommen.
Top 5-Material. Die Tage kam endlich die schicke Box an (mit 1 Paar rotweisser Socken, diversen Polaroid-Fotos, Autogramm), ich bin högschd begeistert.
Was ist nur mit New York los? Der Killa muss die Stadt echt retten, sonst ist es vorbei. Da kraeht kein Hahn mehr nach, nicht mal dann, wenn der aktuelle Suedstaatensound emuliert wird (Desiigner). Nas, okay, klar, immer, aber der geht ja auch voellig am Zeitgeist vorbei.
YG > Q > Kendrick
Kann man so stehen lassen, Desiigner war wirklich Rotz. Rege mich jedes Mal auf, dass YouTube ihn mir ständig vorschlägt und ihn per Autopilot hinter Bryson und YG schiebt...