laut.de-Kritik

"Rich as fuck but guess what? I'm back to work."

Review von

Über "Detox" hat die kopfnickende Welt wahrlich ausreichend viele Witze gerissen. Es blieb ja genug Zeit dafür: Um die 15 Jahre hat Dr. Dre ins Land ziehen lassen, um sein wieder und wieder angekündigtes Album am Ende doch nicht zu veröffentlichen. Das Material habe ihm nicht gefallen, es erschien ihm schlicht nicht gut genug.

Wenn das mal nicht den weltbesten Grund darstellt, um ein Projekt an den Nagel zu hängen, weiß ich auch nicht mehr. Zumal ein wie auch immer geartetes "Detox" die in den Himmel gewachsenen Erwartungen ohnehin fast zwangsläufig hätte enttäuschen müssen. Hätte Dre versucht, mit aller Gewalt an seine Großtaten aus den ausgehenden 90ern anzuknüpfen, wir hätten vermutlich genau die Lachplatte bekommen, über die wir uns seit Jahren fröhlich beömmeln: Hip Hops "Chinese Democracy", hihi. Ab in die Tonne, damit.

So mies wie die Vorzeichen für "Detox" standen, so exzellent sehen die Voraussetzungen für jede andere Platte aus, die Dr. Dre fabrizieren könnte. Erstens: Der Mann muss niemandem mehr etwas beweisen. Seinen Legendenstatus hat er längst in Stein gemeißelt. Niemand, der auch nur halbwegs bei Trost ist, versucht, ihm seine Verdienste um Hip Hop abzusprechen. An Dres Arbeitsmoral besteht ebenfalls kein Zweifel: "Rich as fuck but guess what? I'm back to work."

Zweitens, er hat es eben schon selbst gesagt: Dre muss sich keinen kommerziellen Erwägungen unterordnen. Jeder weiß, dass der überaus geschickt operierende Geschäftsmann sich einen derart stinkenden Reichtum erwirtschaftet hat, dass in in dieser Hinsicht keinerlei Sorgen drücken. Keine Budget-Beschränkung engt ihn ein. And if you don't know now you know - weil Dr. Dre nicht müde wird, diesen Umstand wieder und wieder zu betonen.

"A motherfuckin' dream to reality is what you call that, homie", reflektiert er seinen eigene Vom-Sozialhilfeempfänger-zum-Multimillionär-Story und wirkt dabei noch nicht einmal arrogant. Er verkündet schließlich nur hinlänglich bekannte Tatsachen. Die Trennlinie zu den Aufschneidern, deren Lebensstil und Gerede wenig mehr als "Satisfiction", reine Fassadenpolitur, darstellen, müsste er so explizit, wie er es tut, gar nicht ziehen.

Drittens: Dr. Dre hat die richtigen Leute an der Hand, was eindeutig kaum mit seinen schier unbegrenzten finanziellen Mitteln, viel mehr hingegen mit seiner persönlichen Geschichte zu tun hat. Seit jeher kuckte er vielversprechende Kollegen aus und hielt fortan die Hand über sie. "I used to be a starving artist", verrät der Blick ins Tagebuch, den "Talking To My Diary" gestattet, seine Philosophie. "So I would never starve an artist."

Kein Wunder, dass sich die alten, längst selbst legendären Weggefährten revanchieren und sich gegenseitig Studioklinke und Mic in die Hand geben. Onkel Snoop erteilt gute Ratschläge in "Satisfiction", nachdem er zuvor bereits in "One Shot One Kill" zugange war. Nach dem grellen Anpfiff in "Just Another Day" ist "motherfuckin' Game time", und selbiger kocht seine Gang-Life-Erinnerungen auf.

DJ Premier assistiert bei "Animals", dem inhaltlich vermutlich sprengkräftigsten Track, greift er doch das Thema Rassenunruhen und Polizeigewalt auf. Xzibit verwandelt zusammen mit einem wirklich eisekalten Cold187um "Lose Cannons" in ein unerfreuliches, gruselig packendes Hörspiel. Vom Zwist mit Ice Cube: in "Issues" nichts mehr zu spüren. Den mörderischsten Part steuert Eminem zu "Medicine Man" bei. Wegen seiner Vergewaltigungsverheißung erntete der bereits reichlich Kritik. Sieh an: Dass Marshall Mathers 2015 mit einer frauenverachtenden Zeile immer noch für Wirbel sorgen könnte, hätte ich eigentlich auch nicht für möglich gehalten.

Manche Dinge ändern sich wohl einfach nie, so wie Dres Nase für Talent offensichtlich keinerlei Verschleißerscheinungen zeigt: Er rekrutiert seine Mitstreiter nicht nur unter den Veteranen. Außer Comptons aus vielen guten Gründen gerade gefeiertsten Lyricisten Kendrick Lamar, der mehrfach zu Wort kommt, bietet Dre etwa Jon Connor eine Bühne. Der zeigt sich wild und ingrimmig entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen.

Den stärksten Eindruck hinterlassen aber zwei andere. King Mez krallt sich die Aufmerksamkeit gleich in "Talk About It" und beweist hier, in "Darkside/Gone" und "Satisfiction", dass er sie verdient hat. Vor allem begeistert Anderson .Paak: Hallelujah! Endlich ein Sänger, der sich mit Kratzern, Kanten und Charisma von dem R'n'B-Einheitsgejaule abhebt, mit dem andere ihre Hooklines vollstopfen.

Über all den Featuregästen lässt sich leicht aus den Augen verlieren, was man ohnehin schon beinahe vergessen hatte: In Dre steckt nicht nur ein exzellenter Produzent, sondern zuweilen auch ein echt guter Rapper. Seine Parts sitzen, haben Schmackes und Biss. Dieser vierte führt nahtlos zum fünften Punkt, der "Compton" zu einem echten Erlebnis aufwertet: Dr. Dre hat hörbar Bock auf das, was er da tut. Die Arbeiten am N.W.A.-Biopic "Straight Outta Compton" und die damit verbundene Wühlerei in der eigenen Historie haben ganz offensichtlich alte Glutnester frisch belüftet. Das Feuer brennt jedenfalls wieder.

Das Übrige tun die Straßen von Compton, die noch immer Stoff für teils gewalttätige, teils märchenhafte Geschichten liefern. Noch immer träumen unterprivilegierte schwarze Jungs dort den Traum vom großen Geld, das zu erlangen laut Dre das kleinere Problem, es zu behalten dagegen die weit härtere Herausforderung darstellt. Noch immer wähnen viele ihren einzigen Fluchtweg aus der Armut in der Kriminalität.

Dass auch die Kunst Türen öffnet, möchte Dr. Dre den Betroffenen nicht nur vorleben, sondern ihnen auch ganz konkret vor Augen führen: Sämtliche Gewinne aus dem Verkauf von "Compton" fließen eben dahin zurück und sollen den Kids dort eine Einrichtung für darstellende Künste und Entertainment bescheren. Dass sich Mr. Beats diese Geste mühelos leisten kann, macht sie weder weniger sinnvoll noch weniger stimmig. Die fast auf den Tag genau vor 27 Jahren ausgegebene Maxime, sie gilt ungebrochen weiter: "It's time to put Compton on the map."

Trackliste

  1. 1. Intro (Compton)
  2. 2. Talk About It
  3. 3. Genocide
  4. 4. It's All On Me
  5. 5. All In A Day's Work
  6. 6. Darkside/Gone
  7. 7. Loose Cannons
  8. 8. Issues
  9. 9. Deep Water
  10. 10. One Shot One Kill
  11. 11. Just Another Day
  12. 12. For The Love Of Money
  13. 13. Satisfaction
  14. 14. Animals
  15. 15. Medicine Man
  16. 16. Talking To My Diary

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24 Kommentare mit 44 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    schon jetzt intressierts keine sau mehr

    • Vor 9 Jahren

      habs nichtmal gehört und diesen komischen film schau ich erst als blockbuster auf pro7

    • Vor 9 Jahren

      Och, einige Songs laufen hier immer noch sehr regelmäßig. Da meine Highlights ganz gut verteilt sind, kann ich es sogar besser durchhören als "2001", das nach einer unfassbar geilen ersten Hälfte ab Track 12 total einbricht und sich erst bei "The Message" wieder so richtig erholt. ;)

  • Vor 9 Jahren

    Dre liefert starkes Album ab!
    Habe mich gefreut das doch noch ein Album von Dr.Der kommt und wurde nicht enttäuscht, allerdings habe ich auch kein "The Chronic 2" erwartet. Viele gute Features, die Beat sind Bombe und Album liefert fast ausschließlich gute Tracks ab.

  • Vor 3 Jahren

    Ein unnötiges, weil nichtssagendes Album. Weder auf inhaltlicher Ebene (Storytelling), noch auf Ebene der Attitüde und eines möglichen Charmes überzeugt der Doktor. Die Beats sind alles andere als innovativ oder inspirierend und dazu gefühlt übersteuert. Dadurch wirkt der Sound wie ein großes Durcheinander und wie eine nicht aufzuhören wissende Krachwelle. Lediglich die talentierten Featuregäste wie Anderson .Paak oder Kendrick Lamar können punktuell überzeugen. Dr. Dre hingegen wirkt mit seinen Parts sehr angestrengt und künstlich. Schade...1/5