laut.de-Kritik
Über sexuelle Vorlieben lässt sich streiten ...
Review von Dani Fromm"All good things may come to an end. All bad things can't wait to begin." Wer sein neuestes Werk mit diesen Worten einleitet, kann selbst nicht besonders viel davon halten. Oder aber er ist komplett irre. In diesem Fall plädiere ich, ohne zu zögern, für die zweite Option. Die Ying Yang Twins sind vollkommen wahnsinnig. (Der Artikel in der Juli-Ausgabe der Juice, in dem ein tapferer Kollege über seine Begegnung mit Kaine auf einer Herrentoilette in Miami berichtet, trug nicht dazu bei, mich von dieser Ansicht abzubringen. Zumal ich seitdem ständig das Bild vor Augen habe, wie Kaine sich seine eigene Faust in sein goldzahnbewehrtes Maul stopft. Huh!)
Die Ying Yang Twins haben sich mit "U.S.A." einiges vorgenommen. Galten sie bisher als Ehrenbotschafter der Strip-Clubs dieser Welt, zeigen die Brüder jetzt, dass auch ihr Universum nicht nur aus Fun und Arschwackelei besteht. Crunk-Stampfer, von denen die letzten Veröffentlichungen lebten, sind selbstverständlich trotzdem reichlich vorhanden. Wer solches wünscht, wähle "Hoes" (Unterstützung kommt hier von Labelkollegin Jacki-O) oder das bei D-Roc zu Hause aufgenommene "The Walk". Mit Da Muzicians, Countrie Biggz, Homebwoi und BG kann man zu diesem Track nur sagen: Schreihälse united. In dieselbe Ecke gehört, obwohl musikalisch weit anspruchsvoller, "Badd". Das Instrumental erzeugt Stimmungswechsel am laufenden Band, dazu markante, abwechslungsreiche Vocals - das rettet schon mal über den doch sehr überschaubaren lyrischen Gehalt. Lil Jon produzierte "Put That Thang Down", eine in meinen Ohren eher durchschnittliche Nummer. Dafür legt Mr. Collipark mit "Shake" ein wahres Brett hin: Darauf zerlegt jede Crowd jeden Club, jede Wette!
Überhaupt Mr. Collipark: Ich ziehe den Hut. "U.S.A." ist von vorne bis hinten unfassbar gut produziert, es ist schon beinahe unheimlich. Die Bässe kommen so tief daher, dass sie einen nicht wie üblich im Magen, sondern (nicht weniger wirkungsvoll) in den Kniekehlen erwischen. Wer für die unverwechselbaren Stimmen D-Rocs und Kaines ein derart fettes Fundament zusammenschraubt, der darf zur Belohnung auch in einem Zwei-Minuten-Skit seine anstehenden Veröffentlichungen bewerben. Gutes Beispiel für hohe Produktionskunst: In "Ghetto Classics" trifft ein klasse pumpender Beat auf Art-of-Noise-Samples und Piano-Klänge. Besser kann man zwei rappende Verrückte kaum untermauern. Absicht oder Versehen, dass sich der Rap stellenweise gar so nach 2Pac anhört? Das werden wir hier wohl nicht klären können.
Unzweifelhaft gehören aber die Stimmen der Twins zum Interessantesten, was ich seit langem gehört habe: Einer kratziger, tiefer und schräger als der andere, und beide mindestens so dreckig wie der Südstaatenslang, den sie sprechen. Wow! Zudem legen die Twins in "F*** The Ying Yang Twins" ein über die Maßen dynamisches Verhalten an den Tag: Diese Herren rappen nicht etwa nacheinander, die rappen miteinander, fallen sich ins Wort und quatschen dazwischen. Sehr spannend. Sehr absurd. Die Reimstrukturen sind allerdings durchgehend bedauerlich simpel, die übliche Dirty-South-Krankheit.
Doch, halt! Wollten die Twins nicht eigentlich den Beweis führen, sie seien nicht nur die Crunk-Kasper sondern ernst zu nehmende Lyricists? Ich muss an Kaines Faust in seinem Mund denken und sage trotzdem: Mission erfüllt. So weit man fleischgewordene Comicfiguren eben ernst nehmen kann. "Long Time" liefert eine bestechende Verwurstung des Al-Green-Klassikers "Belle". Die Hookline trägt Anthony Hamilton bei, Ex-Background-Sänger von D'Angelo, dessen erstklassige Soulstimme mir in letzter Zeit mehrfach aufgefallen ist. Die Nummer gerät insgesamt sehr hymnisch und versprüht beinahe Weihnachtslied-Charakter. Ebenso erfreulich hebt sich "Live Again" vom crunken Einerlei ab. Hier stammt die Hook von Maroon-5-Sänger Adam Levine, eine simple Basslinie und klassische Handclaps begleiten eine in ausgezeichneten Rapparts dargebotene Geschichte, in der der Strip-Club tatsächlich nur eine Nebenrolle spielt.
"My Brother's Keeper" könnte glatt von Usher kommen, so tief wird in die R'n'B-Trickkiste gegriffen. Die unorthodoxen Stimmen der Twins geben dem Ganzen dennoch Würze: Tabasco in der Zuckerwatte, wunderbar. Ebenso süß: "Bedroom Boom", ein R'n'B-Schmachtfetzen allererster Güte, der aber mit dermaßen viel Humor serviert wird, dass ich mindestens zweimal lachend am Boden lag. "This is serious business, baby!" Ach so. Verzeihung. Aber Kaine und D-Roc zusammen mit Harfenklängen und Avant, der als "the new voice of ghetto soul" gefeiert wird, in ein Schlafzimmer zu sperren, das ist einfach zu viel für mein Humorzentrum. "Boom goes the bedroom." Ich brech' ab!
Oh, und dann haben wir ja noch den Whisper-Song. Den sollte man nicht unter den Tisch fallen lassen, handelt es sich doch um den vermutlich einzigen geflüsterten Hip Hop-Song in der Geschichte. Flankiert von einer Skit-Serie, die besonders den Herren der Schöpfung interessante Einblicke in die weibliche ... hmmm ... nennen wir es mal "Seele" gewährt, liefern die Twins mit "Wait" eindeutig die eindeutigste Anmache, die mir je untergekommen ist. Erfolgsaussichten? Da Frauen Männer lieben, die wissen, was sie wollen: gar nicht ganz schlecht. "Pull My Hair" erzählt die Fortsetzung der Geschichte. Nun, über sexuelle Vorlieben lässt sich streiten, nicht aber über Stimmen und Produktion. Schließlich landet man dann doch im Bett. Wie gesagt: "Bedroom Boom". Hol' schon mal jemand den Harfenspieler!
Weil man ja nicht genug bekommt, liefert "U.S.A." "Wait" zusätzlich in einer Remix-Version. Wie bei der ursprünglichen Fassung beschränkt sich der Track auf eine mächtige Basslinie und Fingerschnippen, allerdings wispern hier auch Busta Rhymes, Missy Elliott, Lil Scrappy und Mr. Collipark mit. Wer kann dazu schon nein sagen? Ab ins Bett!
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