laut.de-Kritik
Die Trümmerfrauen sind da.
Review von Hannes HußDie "Trümmerfrauen" sind da. Damit sind ausnahmsweise nicht die Frauen der Jahre 1945-49 gemeint, die im bundesdeutschen Kollektivbewusstsein ja inzwischen eine mythische Stellung eingenommen haben als weibliches Äquivalent zur deutschen Nationalmannschaft 1954. Nein, die "Trümmerfrauen" hier sind Pola Lia Schulten und Christin Schalko, die sich gemeinsam Zucker nennen und solide zehn Jahre nach ihrer Gründung endlich ihr Debütalbum vorlegen. Zwischen Gründung und Debütalbum liegt vor allem eine gemeinsame EP mit fellow-Hamburgern Trümmer, als die noch aufregend und neu und cool waren, deswegen eben "Trümmerfrauen". So schlagen sie jetzt mit einem selbstbetitelten Debütalbum auf, 41 Minuten und 13 Songs knarzender, wütender, schreiender Electroclash gegen das Patriarchat und sonstige Abarten der Moderne.
Der Opener "Fick Dich Hart" gibt da direkt mal die Richtung vor. Hier trifft der Electroclash von The Toten Crackhuren Im Kofferraum auf das Peter Muffin Trio und kampfeslustigen Feminismus. "Fick dich / Fick dich / Fick dich hart" wüten Zucker gegen das Patriarchat im Allgemeinen und übergriffige Arschlöcher im Konkreten.
Die richtige Antwort auf die Verwerfungen der Gegenwart haben sie dann auch parat: "Schlag Zu" brüllen sie ihren Zuhörer*innen zu. Im zugehörigen Song verbinden sie Abstraktionen der Art "Sie ist eine Hantel / heftig" mit dem praxistauglichen Refrain "Schlag zu / schlag / in deiner Faust liegt was Geniales". Dadurch geraten Zucker nie in Gefahr, allzu stumpf-krawallig rüberzukommen, sondern entzieht sich zu leichten Lesarten auf wunderbar verkopfte Art und Weise.
Immer wieder mischen sie ihrem minimalistisch-rauen Electroclash dabei melodischen New Wave unter, wie im wunderbar eingängigen, quasi-irgendwie Liebeslied "(We Are) Lovematerial". Hier wird es beinahe schnulzig, wenn Schulten und Schalko im Refrain voller Trotz und Selbstgewissheit einstimmig singen: "We are / we are / lovematerial". Wie könnte sie auch irgendetwas anderes sein? Schließlich gilt hier: "Niemand hat ein so reines Herz wie ich" singen Zucker, nur eben nicht begleitet von zuckersüßem Bubblegumpop, sondern einer düster-metallischen Melange aus New Wave und Industrial. Die Drums schlagen blechern gegen stoisch-maschinelle Gitarrensolis, während Adlibs im Hintergrund mehr nach Dampfmaschinen als nach Menschen klingen.
Trotz solcher Einfälle wirkt "Zucker" am Ende weniger wie ein kohärentes, durchdachtes Album, sondern mehr wie eine Ansammlung an Skizzen und Ideen, wie so ein Album mal klingen könnte. Dahinter steckt wahrscheinlich eine prinzipiell angenehme DIY-Punk-Freude am Unfertigen, aber das erhöht die Replay-Qualitäten des Albums leider nicht. (Zu) Häufig erleiden Songs das Schicksal von "Nein Heißt Nein", einer treibenden New Wave-Hymne auf weibliche Selbstbestimmung, die nur leider zu früh stagniert. Auch das hektische "Verliebt" bleibt auf halber Strecke liegen, das peitschende Schlagzeug entwickelt nicht genügend Drive, um den Song wirklich zu Ende zu führen.
2 Kommentare mit 3 Antworten
Wie ein Komiker, der am liebsten über sich selbst lacht.
Über uns selbst lachen wir auch bei den diesjährigen laut-Awards! Von daher nehmt alle Teil an diesem hilariösen Spektakel!
https://www.laut.de/News/Lesercharts-Eure-…
"...an diesem hilariösen Spektakel!"
overselling par excellence.
Ein schamloser Plug, hinter dem ich voll und ganz stehe!
"Yo, yo, yo /
Meine Raps sind raffiniert wie ZUCKER /
Du bist doof und tapezierst mit Butter /
Mein Haustier-Affe friert auf'm Kutter (Adlib: Nordseekrabbenfischer) /
1 frecher Homie strapaziert deine Mutter"
#freestyle