laut.de-Kritik
Eine stilvolle Ode an die schönste Nebensache der Welt.
Review von Julius StabenowMit echtem R'n'B tun sich deutsche Künstler:innen traditionell schwer. Erst seit Autotune überall ist, gibt es auch hierzulande solide Veröffentlichungen in dem Bereich, aber den verruchten und sexuell aufgeladenen Style, der Ende der 90er und Anfang der 00er Jahre in den USA erfolgreich war und den Artists wie Frank Ocean und The Weeknd um 2012 noch einmal aufgriffen, war in Deutschland kaum präsent.
Vorhang auf für Alyzah. Die Frankfurterin scheint auf einer Mission zu sein, um genau diesen Sound in die Moderne zu übersetzen und auch in good old Germany salonfähig zu machen. Das gelingt ihr so spielerisch leicht, dass sich jeder deutsche Möchtegern-Ladylover schämen sollte, seine Musik ebenfalls "R'n'B" zu nennen. Während stocksteife Autotune-Barden über melodischen Plastik-Trap mit 00er-Jahre-Sample jaulen, wurden Wörter wie "Flavour" und "Groove" für diese Frau erfunden.
Schon die Debüt-EP "Natural" und ein spektakulärer Auftritt bei Unreleased Berlin deuteten an, welches Potenzial in Alyzah steckt, die sich damals noch "Alyssa" schrieb. Nicht umsonst schaffte es der Titeltrack auf unsere Liste der besten Beats aller Zeiten: eine perfekte Überleitung zur aktuellen "Juice"-EP. Wo andere Künstler:innen mit Potenzial regelmäßig scheitern, zeigt Alyzah ein fast schon gruselig sicheres Händchen: beim Beat-Picking. Sie weiß genau, was ihr gefällt und vor allem, was zu ihrer tollen Stimmfarbe passt.
Als Hauptproduzent wird neben Alyzahs Manager Sunny Bizness auch der Kroate Koolade gelistet, der unter anderem schon den All Time Classic "Beautiful" von Masta Ace produziert hat. Inwieweit er der deutschen Sprache mächtig ist, ist nicht bekannt, aber vielleicht hilft ihm das auch, um sich noch mehr auf den Vibe der Sängerin und Rapperin einzulassen. Ganz smooth und melodisch sanft umschmeicheln die Instrumentals die Stimme, mal lässig bouncend wie auf "Shoot", "Juice" oder "Bounce", mal mit schnell galoppierenden Drums wie auf "Hot Pussy".
Am stärksten und abwechslungsreichsten klingt die Produktion aber auf den Songs "Type", "Yssup" und "69". Elegant gleiten die Beats dahin, und der sexuell aufgeladene Groove wickelt dich ein wie eine weiche Decke. Sie bilden so die perfekte Grundlage für die stilvollen Lyrics, die sich komplett um die schönste Nebensache der Welt in all ihren Facetten drehen.
Wir hören jedoch keinen primitiven Sex-Talk, den wir zu genüge von irgendwelchen Testo-Typen kennen, sondern liebevolle und selbstbestimmte Fantasien einer Frau, die scheinbar genau weiß, was sie will, und kein Problem damit hat, das auch offen und direkt anzusprechen. Natürlich rappt und singt Alyzah nicht über Blumen und Bienen. Sie wird auf allen sieben Songs der EP sehr deutlich und spart nicht mit Details. "Denn Baby, heut ist mein Gesicht dein Thron, deine Schreie meine Religion", heißt es etwa auf "69", einer Ode an den weiblichen Körper und diese eine bestimmte Stellung.
Alyzah lebt sich inhaltlich in alle Richtungen aus, wird experimentierfreudig und lässt sich erst recht nicht von heteronormativen Geschlechterrollen einengen. Auf "Type" besingt sie noch eine Art Bonnie & Clyde-Beziehung und ihre Schwäche für Hustler, die sie ganz gleichberechtigt wie eine Königin behandeln, wie MP Freshly auf seinem Feature-Part deutlich macht.
In "Juice" wird sie zur Queen in der Küche, kocht und putzt, ohne sich damit plötzlich zur Hausfrau abzuwerten. Vermeintlich traditionelle Attribute stehen nicht im Widerspruch zum emanzipierten Ausleben von Lust, wie es in einer gleichberechtigten Partnerschaft auf allen Ebenen sein sollte. Wobei eh nicht immer ganz klar wird, ob wir hier noch von Haushalt oder längst von etwas ganz anderem sprechen – eine Ansage an die hinterwäldlerischen Clean Girl- und Tradwife-Trends?
Das wird noch deutlicher, wenn Alyzah auf dem nachfolgenden Song "Yssup" mit Sängerin Dimi Rompos und der feministischen Rapperin Ebow ihre Bisexualität auslebt und im erwähnten Abschlusstrack "69" ihre erotischen Vorlieben mit einer Frau sehr explizit und bildhaft beschreibt.
Negative Gefühle haben hier keinen Platz, darum geht es vermutlich auf einem zukünftigen Projekt, wie die ebenfalls bereits veröffentlichte Non-Album-Single "Hassliebe 2" mit Curse andeutet. "Juice" dreht sich einzig und allein darum, sich fallen zu lassen und die Verbindung zwischen zwei (oder mehr) Menschen zu genießen, ohne sich dabei vorschreiben zu lassen, wen man wie, wo und wann lieben darf.
So wird Alyzah zu einem Vorbild für sexuelle Selbstbestimmung, ohne das sie das jemals explizit einfordert oder aktive Kritik an bestehenden Verhältnissen übt. Genau dieser subtile R'n'B-Flavour in Verbindung mit dem perfekt gesetzten Wechsel zwischen Rap und Gesang sowie deutscher und spanischer Sprache macht diese Veröffentlichung so einzigartig.


1 Kommentar mit einer Antwort
Das ist schon nice, swaggy und hat Potenzial, aber nach 1einhalb Lauschern und bei aller hornyness scheinen mir 5 Punkte übertrieben (wie Baumwipfel, ey).
rede mal