laut.de-Kritik

So viel kann Punkrock.

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Die folgende Kritik verwendet das Wort "Punk" recht oft. Das hat einen Grund. Anti-Flag vereinen nämlich viele Spielarten dieses Genres in einem Album. Man hat fast den Eindruck, sie hätten sich den Terrorgruppen-Sampler "Aggropop Now!" reingezogen und sich dann gesagt: "Können wir auch alleine." Anstatt also 50 Bands anzukarren, haben sich die Amis lieber von all ihren Lieblingskünstlern inspirieren lassen und 14 Songs draus gebastelt. So vielseitig kann dann ein Punk-Album klingen.

Ja, "American Spring" ist natürlich immer noch eine Anti Flag-Platte, Justin Sane und Kameraden sind immer noch politisch kritisch, sie machen immer noch dreckigen Punkrock, aber doch ist alles anders. So stürmisch, so vielseitig, so geschlossen und so sicher klangen Anti-Flag noch nie. "American Spring" wirkt wie ein Rücken-zur-Wand-Album, als ob es die letzte Chance der Band wäre zu zeigen, was sie draufhaben. Und sie geben alles.

"Fabled World" ist ein einfacher Einstieg. Justin Sanes wacklige Kratzstimme zieht einen direkt hinein in Anti-Flags Kosmos, das schnelle E-Gitarren-Geschrammel besorgt den Rest. "The Great Divide" wird schnell und ohne große Umschweife runtergerotzt. Kürzer ist nur noch der heftig im Hardcore-Punk prügelnde Anti-Cop-Song "To Hell With Boredom".

Mit "Brandenburg Gate" wird es dann langsam interssant. Zusammen mit Tim Armstrong stampfen Anti-Flag so schnoddrig wie die Working-Class-Punker The Briggs durch Berlin. "All Of The Poison, All Of The Pain" verbindet Rock'n'Roll-Riff mit verzerrtem Bass und kratzigem Sprechgesang. Bei "Song For Your Enemy" oder "Without End" kann man Use To Abuse raushören, so hysterisch klingt Justin Sanes Stimme. Kaum ein Song gleicht dem anderen, überall hört man eine andere Band heraus, ohne das Anti-Flag ihren roten Faden verlieren würden.

Die Refrains der Platte könnte man fast alle ins Stadion stellen, und sie würden nicht verloren gehen. Da würden die Fäuste wütend in die Luft gereckt und gemeinsam das obligatorische "Whoa oh" bei fast jedem Lied gebrüllt. "Set Yourself On Fire" oder "Walk Away" hätten Blink 182 oder Green Day schreiben können, werden aber von Anti-Flag viel kratziger und rücksichtloser interpretiert. Insgesamt ist "American Spring" noch sehr viel melodiöser als der Vorgänger, manchmal sogar regelrecht poppig. Dank der dreckigen Produktion stört das aber nie.

Die Songs sind voller Kritik am Kapitalismus, dem Dronenkrieg oder dem Zynismus, der die Menschen lähmt. "Brandenburg Gate" ist ein Lobgesang auf den Sozialismus, "The Great Divide" thematisiert den klaffenden Unterschied zwischen Arm und Reich, und "Song For Your Enemy" handelt von den Ungerechtigkeiten, die in Guantanamo passieren. Kein einfacher Stoff, wenn man sich denn näher mit den Texten beschäftigen mag.

All die Kritik am System, an den Mächtigen, an dem ganzen Mist, der eben so schief läuft in der Welt, das ist nicht nur bloß gedankenlos gesungen, um Kids zu beeindrucken. Nein, das Booklet ist randvoll mit Linktipps, mit Hintergrundartikeln, Essays, persönlichen Nachrichten der Band und Hinweisen auf Organisationen, die sich zum Beispiel für Menschenrechte einsetzten.

"American Spring" ist schon fast mehr als ein Album. Es ist eine Art Ansprache zur Lage der Welt - aus Sicht der Band: Was geht ab, was sollte sich ändern und was können wir tun. Das ist dermaßen konsequent und glaubhaft umgesetzt, dass man tatsächlich sofort gepackt wird, sobald man sich auch nur ein Stück auf dieses Album einlässt. Selbst wer der Band nicht in allem Recht geben mag, kann ihre Argumente und ihre Sichtweisen nachvollziehen oder sich daran reiben. Wer darauf keinen Bock hat und sich die Songs einfach so reinzieht, hört immer noch ein äußerst vielseitiges und spannendes Punkrock-Album. Und den Höhepunkt der Anti-Flag Diskographie.

Trackliste

  1. 1. Fabled World
  2. 2. The Great Divide
  3. 3. Brandenburg Gate
  4. 4. Sky Is Falling
  5. 5. Walk Away
  6. 6. Song For Your Enemy
  7. 7. Set Yourself On Fire
  8. 8. All Of The Poison, All Of The Pain
  9. 9. Break Something
  10. 10. Without End
  11. 11. Believer
  12. 12. To Hell With Boredom
  13. 13. Low Expectations
  14. 14. The Debate Is Over (If You Want It)

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7 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    Kapier nich warum so ein arsch lahmes Album über all so gelobt wird.
    Anti Flag waren bis zu dem unsäglichen "Brightlights..." mit das beste was es im politischen Punk gab, hatten sich dann mit "The people..." kurz wieder gefangen und machen jetzt einfach nur lasche Musik für die Fans von Fall Out Boy und blink die sich auch mal politische engagiert fühlen wollen.

    Die Texte sind leider auch mal wieder viel zu plakativ und unreflektiert...

    • Vor 9 Jahren

      Ja, habs auch gerade einmal durchgehört. Das war nix.

    • Vor 9 Jahren

      Gerade the The People or the Gun wirkte zerfahren, als wüssten sie nicht wohin sie damit wollen. Und wo waren die Texte bei Anti-Flag denn mal nicht plakativ (außer auf besagtem Bright Lights)?

    • Vor 9 Jahren

      Vllt. ist plakativ nicht das richtige Wort, aber sie waren früher mal durchdachter und fokussierter als sie auf diesem Album hier sind.

      Man gucke sich mal Turncoat, Vieques Puerto Rico oder auch 1984 an.
      Dagegen sind gerade songs wie Brandenburg gate, zusammen mit dem wirklich katastrophalen Video, einfach nur oberflächlich und Mist.

      Wobei es Sinn macht, dass du auch American Spring feierst wenn dir Bright Lights gefällt schlägt ja in die Selbe Kerbe. Aber Geschmäcker sind ja verschieden.

  • Vor 9 Jahren

    weniger hardcore ... mehr pop/rock punk aber sehr abwechslungsreich und auf dem Punkt. Brigt auf jeden Fall gute Laune und hat ein Hauch kritische Texte ^^

  • Vor 9 Jahren

    Ein richtig starkes Album, Anti-Flag gefallen mit melodischem Punk, ja fast schon Pop-Punk. Ihre Texte sind relevant wie eh und je und man hört, dass sie beim Aufnehmen Spaß hatten. Moderner Punkrock mit Anspruch und mitreißenden Melodien.
    Die besten Nummer kann man gar nicht genau rausfiltern, aber "Brandenburg Gate", "Break Something" (das mich etwas an "Neoliberal Anthem" erinnert) und "Fabled World" setzen sich sofort im Ohr fest.